„Wirtschaft vor acht“ in der ARD ist schon lange eine Zumutung für alle Menschen, die ein wenig von Wirtschaft verstehen. Doch in der vergangenen Woche übertraf diese Sendung sich selbst. Markus Gürne, studierter Rechtswissenschaftler, nutzte seine drei Minuten für total unfundierte Aussagen über Haushaltsgleichgewichte und für einen Angriff auf chinesische Handelsüberschüsse. Praktisch jede seiner Aussagen war mehr als fragwürdig und müsste, um einen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern besonders beliebten Begriff zu benutzen, als „Desinformation“ bezeichnet werden.
„Gleichgewicht ist eine gute Sache – in allen Lebenslagen“, so beginnt Gürne sein China-Bashing. Wenn die eigene Haushaltsbilanz und die der öffentlichen Haushalte ausgeglichen seien, könne man einfach entspannter sein. Schon diese Aussage ist grenzwertig, weil der „Wirtschaftsfachmann“ einfach vergisst zu erwähnen, dass diejenigen Haushalte, die Jahr für Jahr hohe Überschüsse aufweisen, noch viel entspannter sind als die, bei denen „nur“ ausgeglichene Einnahme-Ausgabe-Rechnungen zu verzeichnen sind.
Wüsste er, wie hoch die Überschüsse sind, die von den privaten Haushalten in Deutschland jedes Jahr aufgehäuft werden, könnte er auch nicht über ausgeglichene öffentliche Haushalte reden, ohne vor Scham zu erröten. Tatsächlich bildeten die deutschen privaten Haushalte 2023 neues Nettogeldvermögen in Höhe von fast 250 Milliarden Euro. Netto bedeutet, dass Sachvermögensbildung und die Kreditaufnahme schon abgezogen sind. Da können einige wirklich entspannt sein. Allerdings müsste sich der Kommentator einer Wirtschaftssendung die Frage stellen, wo denn die Gegenbuchung zu diesem gewaltigen Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben ist, wer also die Schulden in Höhe von 250 Milliarden Euro gemacht hat, die man zwingend braucht, um diese Nachfragelücke zu füllen (Erläuterungen dazu hier und in meinem neuen Buch).
„Antworten auf diese Frage liefern die Zahlen der Deutschen Bundesbank. Man sieht in den dort veröffentlichten Statistiken, dass der wichtigste Gegenposten zu den Überschüssen der deutschen Privathaushalte die Einnahmedefizite des Auslandes sind, also deren zusätzliche Schulden gegenüber Deutschland. Was wiederum nach reiner Logik nichts anderes bedeutet, als dass Deutschland in der Größenordnung von 250 Milliarden Euro jährlich die Welt mit Gütern überschwemmt, die hier nicht abgesetzt werden können.
Doch die Rolle des Schurken im Handelsspiel hat Herr Gürne schon an die Chinesen vergeben, die vermeintlich genau das tun, was Deutschland seit 20 Jahren tut, was Herr Gürne aber mitnichten erwähnt. Wie sehr man dabei von deutscher Seite im Glashaus sitzt, erkennt man mühelos, wenn man sich die deutschen Handelsbilanzüberschüsse anschaut: Zwischen 2010 und 2023 waren das jährlich (!) im Schnitt (also einschließlich der Corona-Delle) 180 Milliarden Euro, derzeit sind es wieder fast 250 Milliarden Euro. Die 180 Milliarden machen bei einem 80 Millionen-Volk einen Pro-Kopf-Überschuss von über 2200 Euro jährlich. Beim chinesischen 1,4 Milliarden-Volk kommt man auf 685 Euro pro Kopf und Jahr, wenn man den in der Sendung genannten August-Wert des chinesischen Handelsbilanzüberschusses auf 12 Monate hochrechnet. Das ist nicht mal ein Drittel des deutschen Wertes.
Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss von vermutlich 7 Prozent des BIP im laufenden Jahr ist weit größer als der chinesischen von 1,3 Prozent (siehe das beiliegende Schaubild vom IWF). Es ist eine politische Provokation, wenn öffentlich-rechtliche Medien in Deutschland einem Land wie China, das eine ziemlich ausgeglichene Bilanz aufweist, Missbrauch des internationalen Handels vorwerfen. Auch die Begründung von Gürne für den chinesischen Handelserfolg, nämlich staatliche Unterstützung für die eigenen Firmen, ist falsch, wie hier gezeigt.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat in Deutschland den Auftrag, zur Aufklärung der Bevölkerung in Sachfragen beizutragen. Was sich die ARD in den drei Minuten vor der Tagesschau leistet, ist ein glatter Verstoß gegen die vom Staat diesen Anstalten gesetzte Aufgabe. Es ist Desinformation und die (bewusste oder unbewusste) Verdrehung von offensichtlichen Zusammenhängen. Das ist in Zeiten, in denen über die sogenannten Social Media ohnehin jede Menge Volksverdummung betrieben wird, ein schwerwiegendes Versagen. Woher soll der interessierte Bürger wissen, welcher Informationsquelle er vertrauen kann und welcher nicht, welche Einordnung statistischer Meldungen selbst zu Fake News gehört und welche als seriös anzusehen ist? Die Demokratie braucht bessere Informationen und Erklärungen, sonst ist sie in höchstem Maße gefährdet.