Streit um die Zinsen?

Widersprechen sich Steinhardt/Grunert auf der einen und Flassbeck/Spiecker auf der anderen Seite?

Versuch einer Zusammenführung

Ein Gastbeitrag von Joachim Nanninga

Grunert/Steinhardt meinen in ihrem Artikel „Von Spartöpfen und Zinsmargen“, einen Dissens in der Geldtheorie zwischen Flassbeck/Spiecker („Warum der Zins auch weiterhin extrem wichtig ist – 4“) und ihnen identifizieren zu können. Ich halte es für möglich und gewinnbringend, den Dissens aus dem Weg zu räumen und die Diskussion für die Fragen der konjunkturpolitischen Bedeutung des Zinses freizuräumen.

Einlagen der Bankkunden bei Banken sind nicht deren Kredite, die sie der Bank gewähren. Dies ist aus einem ganz einfachen Grund ersichtlich: Wären es Kredite, könnten die Bankkunden nicht über die Einlage verfügen. Das gilt mindestens für die sofort fälligen Einlagen, die sich der Bankkunde sofort auszahlen lassen kann oder für eine Überweisung auf ein anderes Konto, auch bei einer anderen Bank, nutzen kann. Der Bankkunde hat also der Bank keinen Kredit gegeben, er verfügt vielmehr über Zahlungsmittel (= sofort fällige Forderungen gegen die Bank). Ein der Bank gegebener Kredit kann nicht zugleich als Sichtguthaben auf dem Girokonto für den kreditgebenden Bankkunden verfügbar sein. Je mehr der Bankkunde von dem Recht des Gebrauchs der sofortigen Fälligkeit gegenüber der Bank vertraglich Abstand nimmt, desto mehr gewinnt jedoch seine Forderung gegen die Bank die Eigenschaften eines Kredits. Die Forderungen sind dann demonetisiert. Gegebenenfalls lassen sie sich nach den vertraglich vereinbarten Regeln gegen Entschädigung wieder monetisieren. Bei Ablauf der Festlegungs- oder Kündigungsfrist wird die Forderungssumme wieder monetisiert und kann als Zahlungsmittel wieder im Zahlungsverkehr eingesetzt werden.

Haben Banken ein Liquiditätsthema? Grundsätzlich ja, sie müssen ihre eigene Liquidität managen. Die Herausforderung ist der negative Saldo im Zahlungsverkehr. Das Risiko steigt, wenn die Bank kleiner ist und wenn ihre Kreditsumme größer wird. Eine Bank muss immer dafür sorgen, dass sie selbst alle sofort fälligen Forderungen gegen sie durch Hergabe von Zentralbankgeld gegen einen Kunden oder zugunsten einer Bank, die Überweisungen empfängt, bedienen kann. Bareinzahlungen und von anderen Instituten eintreffende Überweisungen vergrößern, Abhebungen und Überweisungen auf Konten anderer Banken verringern die eigene Liquidität der Bank. Die Demonetisierung von Kundenforderungen durch Umwandlung in länger gebundene Einlagen kann Teil des Liquiditätsmanagements sein. Liquidität einer Bank ist ein Partialproblem: Der Gruppe von Banken mit Liquiditätsabfluss steht die Gruppe der Banken mit Liquiditätszufluss in identischer Größe gegenüber. Banken aus der letzteren Gruppe können Banken aus der ersteren Zentralbankgeld leihen. Das sind echte Verleihgeschäfte, also nicht „geldschöpfende“ Bankkredite, weil die verleihende Bank weder das verliehene Zentralbankgeld „schöpfen“ noch während der Verleihzeit darüber verfügen kann.

Das Bankensystem als Ganzes hat kein Liquiditätsproblem und kann nicht illiquide werden. Im Gegenteil: Es ist im modernen Geldsystem Quelle grundsätzlich unbeschränkter Liquidität für Nicht-Banken. Es benötigt nicht einen „Sparer“, der vorgängig vor jedem Kredit Einlagen zur Verfügung stellt. 

Auch ohne Überschuldung einer einzelnen Bank kann es dazu kommen, dass sie illiquide wird. Wenn alle Kunden abheben wollen oder auf Konten anderer Banken überweisen wollen und das Bankhaus nicht das Vertrauen anderer Banken genießt und die Zentralbank oder auch ein weißer Ritter nicht einspringen wollen, nützen auch die schönen Aktiva – längerfristige Kredite – nicht viel. Heuschrecken sind dann womöglich bereit, sie mit großen Abschlägen aufzukaufen. Aktiva, die man unter Druck verkaufen muss, erst recht wenn mögliche Käufer von diesem Druck wissen, unterliegen einem enormen Wertberichtigungsbedarf.

Grunert/Steinhardt betonen:

Selbst mit Hinweis auf das verbleibende „Ausfallrisiko“ lassen sich aus Giroguthaben keine mit Krediten vergleichbaren „Verbindlichkeiten“ konstruieren. Allenfalls wäre es möglich, daraus Eventualverbindlichkeiten zu basteln. Da diese aber in ihrer Höhe und zu ihrem Zeitpunkt vollkommen unbestimmt sind, würden diese Verbindlichkeiten sich auf exakt 0 belaufen. Sobald aber klar ist, dass Giroguthaben zwar als „Verbindlichkeiten“ bezeichnet werden, aber nicht mit aus Krediten entstehenden Verbindlichkeiten vergleichbar sind, wird offensichtlich, warum sich die Gewinne von Banken nicht über Zinsmargen bestimmen lassen.

Dieser Absatz bleibt mir recht dunkel. Der Begriff „Verbindlichkeit“ ist schlicht die Umkehrung des Begriffs „Forderung“ und betrifft immer zwei Parteien und ist mit einem bestimmten Betrag einer Währung verbunden. Hinzu kommt ein Erfüllungszeitpunkt. Zum Zahlungsmittel wird eine Forderung für ihren Inhaber dadurch, dass der Forderungsadressat eine Bank ist und er sofort durch Abhebung oder Überweisung über die Forderung verfügen. Aus Sicht der Bank handelt es sich um eine Verbindlichkeit, deren sie durch die Abhebung oder die Überweisung ledig wird. Jeder neue Bankkredit, der zu einem zusätzlichen Guthaben führen soll, begründet zwei zusätzliche Forderungs-/Verbindlichkeits-Beziehungen. Der Bankkunde bucht (Forderung Bank: Bankeinlage) an (Verbindlichkeit gegenüber Bank: Kreditsumme), die Bank bucht (Forderung Kreditkunde: Kreditsumme) an (Verbindlichkeit: Kundeneinlage). Mit dem Kreditvertrag sind für beide Seiten gleich große Verbindlichkeiten und Forderungen entstanden: Bilanzverlängerung. Oder es liegt, in der Sprache der Zahlungsbilanz gesprochen, eine geldvermögensneutrale Transaktion lediglich auf der Seite der Kapitalbilanz vor. Beide Vertragspartner mussten nur Konten der Zahlungsreihe bebuchen. Der Saldo der Kapitalbilanz wurde nicht verändert.

Die Verbindlichkeit der Bank ist eine sofort fällige, Zahlungsmittel eben, die Verbindlichkeit des Bankkunden ist bezüglich ihrer Fälligkeit vertraglich bestimmt und kann ggf. weiterverkauft werden, ist aber selbst kein Zahlungsmittel. Fristen im Sinne der gängigen Theorie der Fristentransformation sind hier nicht „transformiert“ worden. Was sollte das heißen? Man kann eher sagen: Die Bank hat die Verbindlichkeit einer Nichtbank, die für die Bank eine sog. sonstige Forderung gegen die Nichtbank ist, monetisiert, d.h. zu einem Zahlungsmittelbetrag gemacht.

Grunert/Steinhardt glauben den Schluss ziehen zu können:

Die Kosten der Refinanzierung des Kredits einer Bank sind also schlicht 0.

Dieser Schluss gilt nicht in jedem Fall für die einzelne Bank. Er ist richtig für das Bankensystem insgesamt, insofern die Refinanzierung der Zahlungssalden ausschließlich zwischen den Banken erfolgte. Dort würden sich Aufwand und Ertrag zu null saldieren. Wenn eine einzelne Bank ihre Kreditrefinanzierung durch Hereinholen von Kundeneinlagen mit positivem Zinsversprechen oder Umwandlung von Sichteinlagen in Sparguthaben betreibt, hat sie Kosten, die den Erträgen aus der Gewährung von Krediten gegenüberstehen und die nicht als Erträge bei anderen Banken zu Buche stehen. 

Das Liquiditätsproblem der Bank löst aber nicht unmittelbar der zur Giro-Einlage führende Kreditvertrag aus, sondern erst der negative Saldo im Zahlungsverkehr, der umso gewichtiger sein kann, je kleiner die Bank und je größer das Kreditvolumen (abgesehen von der Einhaltung der Mindestreserveanforderung) sind. 

Grunert/Steinhardt glauben zwar Kreditvergabe und Zahlungsverkehr radikal trennen zu können:

Diese Zinskosten haben aber ganz offensichtlich nichts mit der Kreditvergabe an einen Bankkunden respektive deren Refinanzierung, sondern mit dem Zahlungsverkehr (dem Zahlungsausgleich der Banken) zu tun.

So offensichtlich ist die Angelegenheit aber nicht. Denn die Kreditvergabe ist unmittelbar mit der vergrößerten Möglichkeit des Liquiditätsabflusses für die Bank verbunden. Sonst wären ihre Gutschriften zugunsten des Kreditkunden keine Zahlungsmittel. Banken müssen in ihrem Risikomanagement Erfahrungswerte und begründete Annahmen dafür berücksichtigen, inwieweit die Kreditausweitung zusätzliche Liquiditätsabflüsse hervorruft oder nicht. Bankkredit und Zahlungsverkehr sind untrennbar verknüpft, das erstere gäbe es nicht ohne das letztere. Wer wollte Kredit haben, wenn die damit entstandenen Zahlungsmittel nicht frei einsetzbar wären?

Für völlig richtig halte ich es, die Zinsen, die Banken auf Einlagen oder Sparguthaben zahlen, Bestandshaltepreise zu nennen. Grunert/Steinhardt nennen es „Haltegebühr“. Es geht um einen Preis bezogen auf eine Haltedauer. Für die eine Seite ist er negativ, wenn er für die andere positiv ist. Und es kann durchaus wechseln, wer begünstigt, wer belastet ist. Allerdings sind auch Kreditkosten (zu zahlender Kreditzins des Debitors) oder Krediteinnahmen (einzunehmender Kreditzins des Kreditors) Bestandshaltepreise. Richtig diagnostizieren Grunert/Steinhardt, dass der für den Bankkunden positive Bestandshaltepreis für seine Giroeinlage keine Vergütung für einen Kredit darstellt. Das ändert aber nichts daran, dass nicht nur Sichteinlagen, sondern auch Kredite mit Bestandshaltepreisen verbunden sind.

Was kann in der Welt des modernen Geldes für einen Bankdirektor „Refinanzierung“ eines von seiner Bank gewährten Kredits bedeuten? Es kann nicht bedeuten, dass er wie ein Geldverleiher auf die Füllung eines Geldtopfes warten muss, bevor er etwas verleihen kann. Das wäre keine Re– sondern eine Vor-Finanzierung, die immer noch das Denken der gemeinen Bürger über die Bankenwelt beherrscht. Der Geldtopf der Banken betrifft Zentralbankgeld oder Devisen. Ein Bankdirektor will Kredite vergeben, aber gleichzeitig die Liquidität seiner Bank voll wahren. Die Refinanzierung dieses Kredites fordert ihn dann und in dem Umfang, wie der Kredit zu einem Liquiditätsabfluss führt. In seinen Buchungsunterlagen könnte er sogar nachschauen, wie viel der Kreditkunde abgehoben oder an andere Banken hat abfließen lassen. Diese Lücke muss der Bankdirektor, falls es die Zahlungszuflüsse nicht tun, zur Erreichung seiner Liquiditätskonstanz schließen, z.B. indem seine Bank einen Kredit der Zentralbank oder anderer Banken erhält.

Wenn ein Bankkunde Sichteinlagen in Sparguthaben verwandelt, entlastet er die Banken von einem möglicherweise entstehenden Liquiditätsbedarf. Er kann den Betrag auf gewisse Zeit nicht zu einer Zahlung verwenden, die möglicherweise zu einer anderen Bank flösse. Zusätzlich gelten die Mindestreservevorschriften wie bei den Sichteinlagen. Das wissen und schreiben selbstverständlich auch Grunert/Steinhardt:

Kurzfristige Abflüsse von Reserven werden so verhindert und die Banken erhalten eine größere Planungssicherheit.

Dennoch glauben sie festhalten zu müssen:

Sparkonten aber helfen ihnen (den Banken, J. N.) sicherlich nicht dabei, wenn es ihnen an „Liquidität“ in Form von Reserven mangelt.

Dagegen steht: Jede zusätzliche, durch direkte Einzahlung oder durch Überweisung von einer anderen Bank entstandene Einlage entlastet den Liquiditätsbedarf einer Bank, der definitionsgemäß Liquidität in Reserven ist. Die Verwandlung von Sichteinlagen in Spareinlagen entlastet den Liquiditätsbedarf über den Kanal der Mindestreservevorschrift. Bisher gebundenes Zentralbankgeld wird entsprechend für den Ausgleich des Zahlungssaldos frei. Die Verwandlung zur Spareinlage ist zugleich eine Liquiditätsabflussbremse.

Das Ziel von Grunert/Steinhardt scheint zu sein nachzuweisen, dass Banken bei höheren Zinsen höhere Gewinne machen als bei niedrigen. Gewinne könnten ihnen zufolge nicht über Zinsmargen bestimmt werden. Ich habe die Autoren so verstanden, dass sie mit Zinsmarge den Spread zwischen den von Banken für Einlagen gezahlten Zins gegenüber den durch Kredite eingenommenen Zins meinen.

Der Gewinn einer Bank wird wie bei anderen Unternehmen über die Gewinn- und Verlustrechnung ermittelt. Zu zahlende Zinsen sind zweifellos Aufwand und eingenommene Ertrag. Je größer der Spread zwischen beiden Zinsarten und je kleiner die gezahlte Zinsmenge und je größer die eingenommene Zinsmenge, desto besser für den Gewinn der Banken. Insofern ist die „Zinsmarge“ durchaus gewinnrelevant.

Die im Großen und Ganzen korrekte Darstellung der modernen Bankenwelt (mit Ausnahme der hier vorgeschlagenen Korrekturen) glauben die Autoren nun mit einer Kritik an Keynesianern und mit einer Kritik an einer Darstellung bei Flassbeck/Spiecker verbinden zu können.

Zunächst zu der in Richtung Keynesianer geäußerten Kritik:

So interpretieren zum Beispiel manche von ihnen Finanzierungssalden als Kreditbeziehungen, was überhaupt nicht möglich ist, wenn man Banken als Geldschöpfer betrachtet.

Bei den Aggregaten, für die gewöhnlich Finanzierungssalden ausgewiesen werden, die sich insgesamt definitionsgemäß zu null addieren lassen müssen, handelt es sich um die Inlandssektoren Staat, Unternehmen und private Haushalte sowie um den Auslandssektor. In ihnen sind alle Wirtschaftssubjekte der Welt enthalten, jedes wird ausschließlich in einem Sektor mitgezählt. Banken als Quelle der Liquidität kommen in ihnen allerdings gar nicht separat vor. Als Unternehmen, die Aufwand und Ertrag haben und damit Gewinne oder Verluste machen, werden sie aber bei den Unternehmen mitgezählt. Die Sektoren sind keine wirtschaftlich handelnden Subjekte, stehen also für die Vergabe oder Annahme von Krediten überhaupt nicht zur Verfügung. Diese Finanzierungssalden könnten auch Leistungsbilanzsalden genannt werden, weil sie die Bestandsänderung der jeweiligen aggregierten Geldvermögenspositionen ausweisen.

In der Rückschau müssen trivialerweise alle negativen Leistungsbilanzsalden irgendwie finanziert worden sein bzw. alle positiven Leistungsbilanzsalden müssen von einem gleich großen Saldo in der Kapitalbilanz mit umgekehrtem Vorzeichen begleitet sein. Bei den Finanzierungssalden ist also ex post immer alles schon irgendwie finanziert. Die Herausforderung der Finanzierung lag nun nicht bei dem Sektor, sondern bei dessen Wirtschaftssubjekten, die mit einem Überschuss der Ausgaben gegenüber den Einnahmen dieses summarische Ergebnis des Sektors verursacht haben. Der Sektor ist und bleibt nur ein theoretisch fabriziertes statistisches Aggregat. Diese einzelnen, das negative Sektorergebnis bestimmenden Wirtschaftssubjekte konnten offensichtlich ihren Ausgabenüberschuss realisieren und haben dabei Liquiditätsabfluss und/oder Vermehrung der Kreditverbindlichkeit gegenüber Banken und/oder Vermehrung der Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten zustande gebracht. In der Regel besteht die Herausforderung in der Erhaltung der eigenen Liquidität, um nicht zahlungsunfähig zu werden. 

Interessant wäre zu erfahren, welche Keynesianer sich der Absurdität hingeben und die Finanzierungssalden direkt als Kredit interpretieren. Die genannten einzelnen Wirtschaftssubjekte, die das Sektorergebnis in den negativen Bereich gedrückt haben, hatten aber zweifellos eine wie auch immer konkret bestimmte Mischung aus Liquiditätsverringerung und Ausweitung der Kreditverbindlichkeit gegen Banken oder Nicht-Banken. In den Finanzierungssalden selbst ist aber nicht erkennbar, wie finanziert wurde. Es wird zwar von Verschuldung und umgekehrt dem Sparen der Sektoren geredet. Nach meinem Kenntnisstand ist damit aber immer der jeweilige Saldo aller im betrachteten Zeitraum entstandenen Forderungen und Verbindlichkeiten aller Wirtschaftssubjekte des Sektors gegen den Rest der Welt gemeint. 

Ihre Kritik an Flassbeck/Spiecker formulieren Grunert/Steinhardt in folgendem Absatz:

Ebenso unmöglich erscheint vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis (der Geldschöpfung von Banken aus dem Nichts, J. N.), die volkswirtschaftliche Funktion von Kreditinstituten in der Fristentransformation zu verorten. Wie Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker zu argumentieren, dass sich mit Blick auf den Zahlungsverkehr zeige, dass „das Ergebnis ganz ähnlich wie beim Fristentransformationsmodell (ist)“, überzeugt nicht. Ihr Argument unterstellt, dass alles Geld, das durch die Kreditvergabe geschaffen wurde, an andere Banken überwiesen wird, die selbst keine Kredite vergeben und keine Überweisungen an die kreditvergebenden Banken tätigen. Das hat mit der Realität der Funktionsweise des Bankensystems recht wenig zu tun.

Wer sich den Text von Flassbeck/Spiecker vor Augen führt, muss überrascht sein:

Wie wir in vielen Beiträgen gezeigt haben, ist das Bild der Fristentransformation schief. Tatsächlich vergeben Banken auf der einen Seite Kredite, für die sie den langfristigen Zins in Rechnung stellen. Die Einlagen, die den Banken von den Sparern zur Verfügung gestellt werden, bilden jedoch keine Grenze für die Kreditvergabe. Banken können Kredite aus dem Nichts schaffen, für die auch unmittelbar keine Kosten außer den Bearbeitungskosten entstehen.

Könnte dieser Absatz nicht ebenso im Text von Grunert und Steinhardt gestanden haben? Flassbeck/Spiecker verorten den Liquiditätsbedarf der Banken korrekt im Ungleichschritt des Zahlungsverkehrs zwischen Banken. Sie weisen auf die besonderen Liquiditätskosten für Banken mit negativem Zahlungssaldo hin. Der Zins, den diese Banken für kurzfristige Reservekredite zahlen müssen, steht als Aufwand den langfristigen Zinseinnahmen für vergebene Kredite als Ertrag entgegen. Banken mit positivem Zahlungssaldo haben dann noch zusätzliche Erträge, wenn sie ihre Überschussreserven den Banken als Kredit geben, die einen negativen Zahlungssaldo aufweisen. Die Situation bei den Banken mit negativem Zahlungssaldo nennen Flassbeck/Spiecker, ganz ähnlich wie beim Fristentransformationsmodell, die Zinsstruktur, d.h. der Abstand von kurzfristigem zu langfristigem Zins. Und der entscheidet über die Marge der Banken.

Im Zusammenhang des Themas „Fristentransformation“ kann es also gar keinen Dissens zwischen den Autoren geben. Vielleicht hilft auch hier ein Blick auf die Unterschiede der Perspektive der einzelnen Bank und der des gesamten Bankensystems. Eine einzelne Bank muss die Möglichkeit eines negativen Zahlungssaldos als Kostenfaktor berücksichtigen. Für das ganze Bankensystem (Zentralbank mit allen Geschäftsbanken) gibt es diesen Kostenfaktor nicht, weil der Aufwand für benötigte Liquidität zugleich als Ertrag für gewährte Liquidität innerhalb des Bankensystems anfällt (bis auf die Kosten für die Liquiditätsbeschaffung durch Demonetisierung von sofort fälligen Einlagen durch Umwandlung in Sparvermögen). 

Das schränkt die Wirkung des Leitzinses nicht zwangsläufig ein. Flassbeck/Spiecker geht es um die Wirkung der inversen Zinsstruktur auf die Bankprofitabilität. Banken müssten bei inverser Zinsstruktur die Kreditvergabe einschränken, und die Wirtschaft liefe in eine Rezession. Wenn die langfristigen Zinsen, die die Banken ihren Kreditkunden in Rechnung stellen, niedriger sind als die Kosten für gegebenenfalls nötige Liquiditätsbeschaffung einer Bank, kommt die Kreditvergabe zumindest bei den Banken mit negativem, nicht aber bei denen mit positivem Zahlungssaldo unter Druck. Dass die Banken mit positivem Zahlungssaldo den Kreditrückgang bei den anderen Banken durch vermehrte Kreditvergabe voll ausgleichen, ist nicht selbstverständlich. Sie könnten in der Kreditvergabe auch allein unter dem Eindruck des Signals der inversen Zinsstruktur zögerlich werden. Wenn die Kreditsumme insgesamt sinkt, sinken auch die Bankenprofite, wenn es keinen Ausgleich über höhere langfristige Zinsen gibt. Letztlich ist die Frage, inwieweit eine inverse Zinsstruktur auf die Gewinne der Banken und über den Umfang der gewährten Kredite auf die Konjunktur einwirkt, eine empirische Frage, die nicht allein geldtheoretisch oder saldenmechanisch zu klären ist. 

Darüber, dass sich die Gewinnsituation der Banken durch niedrige Kreditzinsen verschlechtert, sind sich beide Parteien einig. Hinzufügen ließe sich lediglich, dass diese Verschlechterung insoweit gilt, wie sie nicht durch zusätzliche Kredite ausgeglichen wird. Denn darüber, dass die Kredite für die Banken zunächst nur Verwaltungskosten auslösen, sind sich beide Parteien auch einig.

Es wäre schön, wenn man sich wechselseitig bestätigen könnte, dass die vermeintlichen geld- und bank-theoretischen Meinungsverschiedenheiten aus dem Weg geräumt sind und man sich der Frage nach der konjunkturpolitischen Bedeutung des Zinses widmen könnte.

Dr. Joachim Nanninga hat Philosophie studiert und wurde 1975 mit einer Arbeit promoviert, die dem analytischen Marxismus zugerechnet wird. Er hat als selbständiger Unternehmensberater im Bereich der beruflichen Bildung gearbeitet. Nanninga hat seit 2017 bei Makroskop Artikel zur Geldtheorie veröffentlicht. Er betreibt die Website zwiz.de.