Warum sind die Unternehmer nur so dumm?

Die letzten Daten für die deutsche Volkswirtschaft signalisieren schon wieder Schwäche. Gerade ist der ifo-Index für den Monat August veröffentlicht worden, der zeigt, dass mehr als Stagnation in der deutschen Industrie auch zum Ende des Sommers nicht zu erwarten ist. Das ist nicht verwunderlich. Im ersten Halbjahr 2025 betrug der deutsche Handelsbilanzüberschuss nur noch knapp über 100 Milliarden Euro und lag – ohne, dass die amerikanische Zollpolitik wirklich schon zum Zuge gekommen wäre – um ganze 22 Prozent unter dem Ergebnis vom 1. Halbjahr 2024.

Wenn die Exporte stagnieren (minus 0,1 Prozent in diesem Halbjahr) und die Importe deutlich zulegen (plus 4,4 Prozent), bedeutet das unmittelbar eine Verringerung der Nachfrage für deutsche Unternehmen bei weitgehend unveränderten Kosten. Zwar haben viele Unternehmen schon Arbeitskräfte entlassen, aber es ist dennoch sicher, dass sich die Gewinnsituation insbesondere der deutschen Industrieunternehmen in diesem ersten Halbjahr noch einmal deutlich verschlechtert hat. Und das unmittelbar nach der längsten Rezession der deutschen Geschichte.

Die neuesten Berechnungen des Statistischen Bundesamts zum BIP im zweiten Quartal 2025 zeigen, was droht (Abbildung). Nach nur zwei Quartalen mit einer gewissen Beruhigung sind schon wieder Rezessionssorgen angesagt. Auch das dritte Quartal wird sehr schwach sein. Schafft Deutschland jetzt nicht bald die Wende zu einer stabilen Aufwärtsentwicklung, steht nicht nur die Regierung im Feuer, sondern das gesamte Gesellschaftssystem.

Angesichts der Rekordtalfahrt der Wirtschaft schreien die Unternehmen und ihre Verbände Zeter und Mordio. Da haben sie Recht, es geht ihnen wirklich schlecht. Aber was schreien sie? Sie schreien nicht, wir brauchen Nachfrage nach unseren Produkten, denn die ist schwach. Nein, sie schreien wie immer in genau die falsche Richtung. Der Sozialstaat sei „insolvent“, sagt Steffen Kampeter von den Arbeitgeberverbänden und gibt damit den Takt der allgemeinen Schreierei vor. Vollkommen ahnungslose Kommentatoren wie Nikolaus Blome machen daraus gar einen Kulturkampf.

Die Arbeitgeber lassen auch den Bundeskanzler schreien, der Sozialstaat sei einfach nicht mehr finanzierbar. Die unternehmensnahen Medien wie die FAZ wissen, dass die deutsche Wirtschaft genau jetzt „Vorfahrt für die Wettbewerbsfähigkeit braucht“, was auch darauf hinausläuft, die Kosten der Unternehmen zu senken. Und die scheinintellektuelle Lobby aus den Banken (die Riege der sogenannten Chefvolkswirte) darf bei jeder Gelegenheit sagen, Deutschland brauche jetzt „strenge Angebotspolitik“.  

Was aber hat der Sozialstaat mit den akuten Problemen der deutschen Wirtschaft zu tun? Gar nichts! Ist der Sozialstaat insolvent? Das ist grandioser Schwachsinn. Ist der Sozialstaat nicht mehr finanzierbar? Nur dann, wenn man weiter absolut falsche Wirtschaftspolitik macht. Wieso braucht man Angebotspolitik, wenn die Nachfrage schwach ist? Braucht man eine Beinschiene, wenn man Husten hat? Und wie kann ein halbwegs intelligenter Mensch genau in der Sekunde auf die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit setzen, wo vom wichtigsten Handelspartner genau diese Strategie kritisiert und mit Gewalt konterkariert wird?

Sind die Unternehmer dumm? 

Unternehmer sind nicht allgemein dumm, aber sie sind Unternehmer (für Unternehmerinnen gilt das Gleiche). Das ist das Problem. Als Unternehmer haben sie nämlich eine sehr eingeschränkte Weltsicht. Sie glauben zwar, etwas von Wirtschaft zu verstehen, weil sie ja tagtäglich Wirtschaft machen, aber ich habe in meinem langen Berufsleben nur zwei oder drei Unternehmer getroffen, die eingesehen haben, dass ihre unternehmerische Weltsicht für die Gesamtsicht auf eine Volkswirtschaft oder gar für die Weltwirtschaft vollkommen ungeeignet ist. Normalerweise halten sie sich für die größten Experten überhaupt.

Wenn Unternehmer in eine Krise geraten, haben sie immer das gleiche Rezept: Sie senken die Kosten. Das ist aus ihrer Sicht absolut sinnvoll, denn die Kosten sind in ihrer Gewalt, während sie ihre Nachfrage kaum beeinflussen können. Wer die Kosten dadurch senkt, dass er Arbeitskräfte entlässt, entlastet sein Unternehmen unmittelbar (in dem Fall vor allem zu Lasten des Staates, der die Arbeitslosen alimentieren muss) und verbessert seine individuelle Wettbewerbsfähigkeit. Folglich denken alle Unternehmer, ihre Verbände und ihre Lobbyisten, dass Kostensenkung das Einzige ist, was man in einer Krise machen kann. Und das ist falsch.

Ja, es ist einfach falsch. Es ist nicht eine andere Sichtweise, die die Unternehmer in der Regel haben, nein, sie haben die falsche Sichtweise. Unternehmen und ihre Verbände handeln systematisch gegen ihre eigenen Interessen, wenn sie die unternehmerische Sichtweise auf die Politik übertragen. Dieses Handeln kann man nicht mit wirtschaftlicher Macht oder der gewaltsamen Durchsetzung von Interessen erklären und rationalisieren. Es wäre vollkommen absurd, wenn die wirtschaftlich Mächtigen sich selbst Schaden zufügten, obwohl sie das richtige Verständnis vom Funktionieren einer Marktwirtschaft haben. Und genau deswegen geht es in der Wirtschaftspolitik in erster Linie um Erkenntnis und erst in zweiter oder dritter Linie um Macht und um Interessen.

Nein, ein normaler Unternehmer kann nicht verstehen, dass sein unternehmerisches Handeln, angewendet auf der Ebene der Gesamtwirtschaft ihm selbst am meisten schadet. Einer kann im Kino aufstehen und seine Sicht verbessern, alle können das nicht. Wenn Unternehmer versuchen, ihre Kosten zu senken, senken sie immer die Nachfrage anderer Unternehmer. Wenn die Unternehmen ihren „angeborenen Instinkten“ folgen, schaufeln sie ihr eigenes Grab. Wenn die von den Kürzungen der Unternehmen betroffenen Unternehmen wieder unternehmerisch reagieren, beginnt eine Abwärtsspirale in der Volkswirtschaft, die nur noch ein Staat stoppen kann, der exakt das Gegenteil tut, nämlich auf Teufel komm raus Geld ausgeben.  

Kosten verursacht für den Unternehmer vor allem der Sozialstaat. Klar, er muss Löhne bezahlen, die er immer für zu hoch hält, er muss Sozialabgaben bezahlen, die er nicht senken kann, selbst wenn er es bräuchte. Selbst Steuern werden ihm abverlangt, weil der Staat es sich zur Aufgabe gemacht hat, niemanden in der Gesellschaft verhungern zu lassen. All das, so sieht es der Unternehmer, muss er letztlich bezahlen und das geht nicht ohne Verluste, wenn seine Kapazitäten nicht ausgelastet sind. 

Weil der Unternehmer seine Nachfrage in der Regel nicht beeinflussen kann, empfiehlt er auch der Politik niemals, die Nachfrage zu erhöhen. Es geht schlicht über seinen Horizont, sich vorzustellen, dass der Staat in der Lage ist, sein eigentliches Problem, nämlich die zu geringe Nachfrage, direkt zu lösen. Selbst Zinspolitik durch die Zentralbank ist ihm ein Rätsel, weil er niemals in der Lage ist, seine Zinsbedingungen zu seinen Gunsten zu verändern.

Ignoriert die Unternehmer und ihre Wasserträger!

Man muss es so brutal ausdrücken: Die unternehmerische Sicht auf die Marktwirtschaft ist irrelevant und sogar gefährlich. Wer auf die Unternehmer und ihre Lobby hört, ist verloren. Einmal ist es doch gelungen, kommt an der Stelle der Einwurf von ganz hinten. Ja, einmal ist es gelungen, weil es einmalige Bedingungen gab, die sich niemals mehr werden wiederholen lassen. Bei der Agendapolitik zu Anfang des Jahrhunderts gab es das gleiche Szenario und es gab exakt die gleichen Forderungen von Unternehmerseite. Lohnsenkung in einer Währungsunion lässt sich aber nicht wiederholen, weil man sonst die Handelspartner in Europa endgültig kaputt konkurriert und weil der große Bruder in den USA verstanden hat, dass er sich das niemals mehr gefallen lassen darf. 

Folglich kommt es, wie es immer kommt: die Dummheit siegt. Der Druck von allen konservativen Seiten wird so groß, dass die SPD einknicken und „aus politischer Verantwortung“ ihr eigenes Todesurteil unterschreiben wird. Diesmal wird es allerdings hundertprozentig in die Hose gehen. Man wird kürzen und kürzen und auf diese Weise auch die Binnenkonjunktur endgültig kaputt machen. 

Die Deutsche Bundesbank hat gerade, völlig unbeachtet von den deutschen Medien und der sogenannten Finanzwissenschaft, eine neue Finanzierungsrechnung für Deutschland (für das vergangene Jahr) vorgestellt. Im Jahr 2024 lag der private Sparüberschuss (wie von mir erwartet) bei fast 350 Milliarden Euro (private Haushalte 300 und Unternehmen 40). Daran wird sich auch in diesem Jahr nicht viel geändert haben. 

Es ist zudem davon auszugehen, dass der Handelsbilanzüberschuss in noch größerem Tempo sinkt als im ersten Halbjahr, weil die US-Zölle nunmehr greifen und die Abwertung des US-Dollar (von 15 Prozent gegenüber dem Euro seit Beginn des Jahres) ebenfalls die deutschen Exportchancen in diesem Halbjahr noch mehr mindert. Selbst wenn dann der Leistungsbilanzüberschuss für das gesamte Jahr nur auf (immerhin noch) 150 Milliarden fällt, muss der Gesamtstaat mit fast 200 Milliarden in die Neuverschuldung gehen (wie hier erklärt), um eine Rezession zu verhindern. 

Derzeit plant der Bund (wie hier nachzulesen) mit einem Defizit von etwas mehr als 80 Milliarden Euro (plus 60 Milliarden aus den sogenannten Sondervermögen) und auch für das nächste Jahr sind nicht mehr als 90 Milliarden (plus 80) vorgesehen. Das gilt allerdings nur für den Bundeshaushalt. Verschiedene Institute rechnen mit einem gesamtstaatlichen Finanzierungssaldo (also unter Einschluss der Länderhaushalte und der Sozialversicherungen) von nur etwas mehr als 100 Milliarden Euro in diesem Jahr. Das ist viel zu wenig. Wenn unter dem Druck der Unternehmerlobby in den Haushaltsberatungen noch deutlich bei den Sozialausgaben gekürzt wird, vermindert jeder gekürzte Euro unmittelbar die ohnehin schwachen Gewinne der Unternehmen. Die von den Kürzungen betroffenen Personen haben kaum Ersparnisse und werden ihre Ausgaben für Güter und Dienstleistungen reduzieren, was erneuten Nachfrageausfall bedeutet. 

Nur solche Länder, denen es gelingt, sich von den Einflüsterungen der Unternehmerlobby zu emanzipieren, haben die Chance, eine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung zu realisieren. Deutschland gehört aller Voraussicht nach nicht dazu. Folglich wird der gescheiterten Ampel in nicht allzu langer Zeit eine gescheiterte Schwarz-Rote Koalition folgen. 

Nimmt man hinzu, dass in wenigen Tagen auch die französische Regierung (wegen des vermeintlichen europäischen Sparzwangs) vermutlich das Handtuch werfen muss, ohne dass irgendjemand eine Idee hätte, wie es dort weitergehen soll, steht Europa eine veritable Krise ins Haus. Wenn die beiden größten Länder quasi unregierbar sind, wird der Nationalismus sehr rasch die Macht übernehmen – mit völlig unvorhersehbaren Folgen, weil dessen wirtschaftspolitische Vorstellungen noch absurder sind als die der Konservativen. Noch könnte man es abwenden, aber die Zeichen an der Wand deuten in die falsche Richtung.