Der arme Javier Milei: Von allen (österreichischen) Geistern verlassen

Die Financial Times berichtet in einem interessanten Artikel über die argentinische Währungsstrategie. Offenbar hat sich der Präsident Javier Milei dazu entschlossen, sein Hauptgewicht bei der Bekämpfung der Inflation auf den sogenannten Anker-Ansatz (anchor approach) zu legen. Ankeransatz heißt, dass man die eigene Währung gegenüber einer stabilen Währung wie dem US-Dollar so zu steuern versucht, dass die Abwertung der eigenen Währung deutlich geringer ist als es der Inflationsdifferenz zum Ankerland entspricht. Gab es bisher eine Abwertung von monatlich zwei Prozent, die schon nicht ausreichte, um die Inflationsdifferenz auszugleichen, soll nun die Abwertungsrate auf ein Prozent pro Monat gesenkt werden.

Wenn man sich schon länger mit internationalen Währungsfragen befasst, hat man enorme déja-vue Erlebnisse. Zu Beginn der 1990er Jahre hat Brasilien exakt mit einem solchen Ansatz seine damals neue Währung, den Real, nach innen und nach außen zu stabilisieren versucht. Crawling peg nannte man das, aber es war ein bewusst langsames crawling, weil man die Inflationsdifferenz zum Ausland nicht voll ausglich, sondern weniger abwertete, als es der Inflationsdifferenz entsprach. So kam es zu einer realen Aufwertung der eigenen Währung. Die Idee dahinter: Über billige Importe sollte Druck auf die heimische Wirtschaft ausgeübt werden, die heimischen Preise weniger zu erhöhen. Man versuchte sozusagen, über diese Währungspolitik ein Stück Preisstabilität zu importieren. Argentinien ging damals noch einen Schritt weiter: Es fixierte seinen Peso 1:1 gegenüber dem US-Dollar (was den gleichen Effekt wie der brasilianische crawling peg hatte, nur radikaler und schneller) und versprach den Bürgern, das sei ein „fixing forever“ oder ein „fixing for your lifetime“. Beide Länder hatten sich nach langer Inflationserfahrung für dieses Vorgehen entschieden, weil sie keine Möglichkeit mehr sahen, mit inländischer Restriktionspolitik die Inflation zu bremsen.

Die argentinische Ewigkeit

Wir wissen, dass die argentinische Ewigkeit keine zehn Jahre dauerte. Die darauffolgende Krise brachte das Land 2002 an den Rand des politischen Zusammenbruchs. Auch der brasilianische Versuch endete mit einem großen Knall schon im Jahr 1999. 

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte diese Ansätze damals ausdrücklich für gut befunden. Er empfahl die sogenannten corner solutions (Ecklösungen), also absolut feste oder völlig flexible Wechselkurse (vgl. dazu mein UNCTAD-Papier von 2001, in Englisch). Der IWF sagte den Ländern aber nicht, was die eine Ecke, nämlich die des Anker-Ansatzes, implizierte: eine immer größer werdende Überbewertung der heimischen Währung und massiv steigende Leistungsbilanzdefizite und schließlich eine Währungskrise mit einer gewaltigen Abwertung, weil sich die „internationalen Investoren“ irgendwann schlagartig aus dem Land zurückziehen. Wer nämlich nur noch importiert, aber nichts mehr exportiert, verliert das „Vertrauen“ dieser Investoren, selbst wenn er ein Libertärer ist. 

Das größte Versäumnis des IWF und der ihn tragenden Regierungen aber war es, den betroffenen Ländern nicht in vernünftiger Weise unter die Arme zu greifen, als die Krise ausbrach[1]. Hat man keine internationale Absicherung für den Fall der Krise, ist der Anker-Ansatz ein zeitversetztes Harakiri.

Eine Lösung à la Don Quichote

Das alles sollte man als Präsident Argentiniens wissen. Doch Javier Milei, der sich bei seinem ökonomischen Wissen vor allem auf libertäre Autoren und solche stützt, die der österreichischen Schule angehören, ist verloren. Er kann nun neoliberale oder libertäre Lehrbücher wälzen oder alle seine Freunde im Ludwig von Mises Institut anrufen, aber er wird nichts Vernünftiges erfahren. Schon die Ausgangslage bedeutet für einen richtigen „Österreicher“ eine aggregierte Sichtweise, mit der er nichts anfangen kann. Währungsprobleme gibt es in der „Schule“ einfach nicht, weil die Märkte ja nicht irren können. Inflationstheorie haben sie keine und eine Währungstheorie schon gar nicht. Mit quantitativen Problemen können sie überhaupt nichts anfangen.

Milei aber hat dennoch, wie die Financial Times berichtet, eine „österreichische Lösung“ gefunden. Er will die Wettbewerbsfähigkeit des Landes ohne Abwertung wieder dadurch herstellen, dass er dereguliert, die Steuern senkt und die Kreditaufnahme der Unternehmen erleichtert. Na dann, viel Spaß dabei. Eine reale Aufwertung, die sich in ein bis zwei Jahren in der Größenordnung von 50 oder mehr Prozent bewegen wird (gegenüber heute berechnet), mit Deregulierung bekämpfen zu wollen, ist nur zu vergleichen mit dem tapferen Kampf des spanischen Ritters Don Quichote, der sich mit seinem Schwert auf Windmühlen stürzte. 

Ich lege mich fest: Eine ganz große Krise und eine gewaltige Abwertung des argentinischen Pesos sind unausweichlich. Wäre ich ein Zocker, würde ich mich jetzt schon langfristig in argentinischen Pesos verschulden, denn die Schulden, ausgedrückt in US-Dollar, werden, sobald die große Abwertung kommt, zusammenschmelzen wie Schnee in der argentinischen Sonne. In der Zwischenzeit kann man als guter Zocker auch noch schönes Geld damit verdienen, dass man sein Geld ganz kurzfristig in Argentinien anlegt, sobald man feststellt, dass die jetzt nur noch geringe Abwertungsrate die Zinsdifferenz zwischen Argentinien und den USA bei weitem nicht mehr auffrisst. 

In der Financial Times wird das in einem Halbsatz auch verklausuliert erwähnt: „Milei has described slowing the devaluation as an important step on the road to removing Argentina’s strict currency and capital controls, a top concern for foreign investors, which he has pledged to do in 2025.“ Genau, Währungs- und Kapitalverkehrskontrollen sind für “ausländische Investoren” (übersetzt: Devisenmarktspekulanten) ein Graus. Wenn die unumgängliche Anpassung der Währung an die Inflationsdifferenzen gegenüber Handelspartnern auf die lange Bank geschoben wird, können sie mal wieder eine ganze Weile spekulative Gewinne einstreichen, während der argentinische Präsident den Zustrom an hot money (das er dann sicher „ausländisches Kapital“ nennt) als Beweis des Vertrauens „der Finanzmärkte“ in seine Politik feiern wird.

In der langen wie in der kurzen Frist: Die Finanzmärkte sind der Freund der Libertären, die die Armen und Uninformierten ausbeuten, so gut und so lang sie können. 


[1] Ich hatte damals in der Staatssekretärsgruppe der G-7 Finanzminister vorgeschlagen, mit einer internationalen Garantie die notwendige Abwertung in Brasilien abzusichern, um einen dramatischen Verfall der Währung und weitere Spekulationswellen abzuwehren. Das wurde aber von meinem amerikanischen Kollegen Larry Summers empört als Eingriff „in die Märkte“ abgelehnt. In der Folge wertete der brasilianische Real weit mehr ab, als es notwendig gewesen wäre, riss Brasilien in eine tiefe Krise (weil man dann die Zinsen erhöhen muss, um die Abwertung zu begrenzen) und brachte Argentinien zusätzlich in Bedrängnis.