Zu teuer oder zu billig? Eine Analyse der Preisentwicklung von Kraftstoffen

Von Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker

In Deutschland und anderen europäischen Ländern sind die Preise fossiler Brennstoffe seit einigen Wochen in den Fokus der politischen Diskussion geraten. Die meisten stöhnen über den Anstieg der Preise. Einige Politiker wollen ihn gar umkehren oder zumindest abmildern. Eine unerwartete Koalition haben in dieser Frage beispielsweise Markus Söder (CSU) und Dietmar Bartsch (Die Linke) gebildet: Während ersterer gegenüber Bild am Sonntag am 31. Oktober erklärte, „Wir müssen den Bürgern steuerlich in dieser schweren Zeit entgegenkommen … Ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz auf Energie und Kraftstoffe würde die Bürger von den schlimmsten Härten entlasten.“, gab letzterer beim Redaktionsnetzwerk Deutschland einen Tag später zu Protokoll: „Die geplante Erhöhung des CO2-Preises um 20 Prozent ab Januar sollte abgesagt und das gesamte Marktmodell vor dem Hintergrund der Preisexplosion auf den Prüfstand gestellt werden.“

Um populistische Forderungen von realpolitisch sinnvollen Überlegungen unterscheiden zu können, muss man sich die längerfristige Entwicklung der Preise für fossile Brennstoffe ansehen. Wenige Monate zurückzublicken, genügt zur Beurteilung nicht. Und man muss fragen, wie sich die Preise im Verhältnis zum Einkommen der Bürger im Verlauf der letzten Jahrzehnte verändert haben.

Abbildung 1

Abbildung 1 zeigt die Preise pro Liter für Super E10 und Diesel, die an der Zapfsäule im Monatsdurchschnitt in den letzten sechs Jahren bezahlt werden mussten. Zunächst springen der Preisverfall zu Beginn der Corona-Krise und die starke Preissteigerung seit Ende 2020 bei beiden Kraftstoffsorten ins Auge: Zahlte man an der Tanksäule im Januar 2020 noch ungefähr 140 Cent pro Liter Superbenzin und 130 Cent pro Liter Diesel, fielen die Preise auf 117 Cent für Super im Mai 2020 und auf 104 Cent für Diesel im Oktober 2020. Seither sind die Preise allerdings wieder steil angestiegen. Zuletzt lagen sie bei rund 165 bzw. 153 Cent. Es wird jedoch leicht vergessen, dass es, wie Abbildung 2 zeigt, bereits eine Phase gab, in der die Kraftstoffpreise in ähnlichem Tempo zulegten und die gleiche Größenordnung erreichten.

Abbildung 2

Im Spätsommer 2012 wurden in der Spitze Preise von 167 (Super) bzw. 152 (Diesel) Cent pro Liter gezahlt. Während der spekulationsgetriebenen Rohstoffpreisralley zu Beginn der 2000er Jahre war Rohöl fast durchgängig teurer geworden und folglich auch das Tanken an der Zapfsäule. Die Preisblase auf dem Ölmarkt war wie auf anderen Rohstoffmärkten zwar schon im Zuge der Finanzkrise 2008/2009 geplatzt, baute sich in den folgenden drei Jahren jedoch erneut auf. Es schlossen sich Jahre eines markanten Preisverfalls an, die nun vorschnell als Vergleichsmaßstab herangezogen werden, um die „übermäßige“ Belastung der mit fossilen Brennstoffen Fahrenden und Heizenden zu belegen.

Der Staat könnte seine auf fossile Brennstoffe erhobenen Steuern und Abgaben senken, um die Entwicklung der Marktpreise zu drücken. Die Energiesteuer, die Erdölbevorratungsabgabe und die CO2-Steuer machten bei Superbenzin 2020 zusammen mehr als 50 Prozent des Bruttopreises aus, einschließlich Mehrwertsteuer gingen sogar knapp zwei Drittel des Endpreises an den Staat. Bei Diesel war die Belastung ca. zehn Prozentpunkte geringer, also auch noch weit mehr als die Hälfte des Endpreises, wenn man die Mehrwertsteuer mit einrechnet. Aktuell ist dieser Prozentsatz bei beiden Kraftstoffsorten allerdings etwas geringer, da sich die Abgaben (abgesehen von der Mehrwertsteuer) auf die Menge und nicht auf den Preis des getankten Kraftstoffes beziehen.

Muss der Staat handeln?

Gegen ein Absenken der staatlichen Einnahmen auf fossile Kraftstoffe spricht jedoch, dass immer drängender nach Lösungen zur Einsparung fossiler Brennstoffe gesucht wird, um die Klimaerwärmung einzudämmen. Solche Lösungen sind im Rahmen einer Marktwirtschaft nur zu erwarten, wenn die fossilen Energieträger im Verhältnis zu anderen Gütern und zum Durchschnittseinkommen laufend teurer werden, wenn ihre Preise also real steigen. Wie war es mit der realen Entwicklung der Preise für Super und Diesel in den letzten Jahrzehnten bestellt?

Abbildung 3 zeigt die Entwicklung der Kraftstoffpreise ab 1950 in Relation zur Entwicklung der durchschnittlichen Verbraucherpreise. Erstaunlicherweise hat sich der Preis für Superbenzin im Lauf der Jahrzehnte unterdurchschnittlich entwickelt, nur der für Diesel steigt die meiste Zeit über stärker als die übrigen Verbraucherpreise. Beide Zeitreihen weisen zudem wesentlich größere Schwankungen auf als die Verbraucherpreise insgesamt. Bemerkenswert ist, dass die Preisschübe in den beiden Ölpreiskrisen Mitte und Ende der 1970er Jahre, die man gemeinhin „Ölpreisexplosionen“ nannte, im Vergleich zur Entwicklung in den 2000er Jahren bis zur Finanzkrise eher moderat aussehen.

Abbildung 3

Bereinigt man die Kraftstoffpreise um die Energiesteuer (früher Mineralölsteuer) und die sonstigen Abgaben, die sich im Lauf der Jahrzehnte verändert haben, ohne jedoch die Mehrwertsteuer herauszurechnen, wird sichtbar, wie sehr der Staat die bei allen Schwankungen insgesamt stark unterdurchschnittliche Marktpreisentwicklung nach oben korrigiert hat (vgl. Abbildung 4): Ohne die Eingriffe des Staates wären die Preisindizes jahrzehntelang hinter der allgemeinen Preisentwicklung zurückgeblieben. Das gilt durchweg für das Superbenzin und mit Ausnahme weniger Jahre rund um die Finanzkrise auch für Diesel. Mit anderen Worten: Ohne die spezifischen Abgaben wäre das Autofahren mit fossilen Brennstoffen in Deutschland all die Jahre noch viel preiswerter gewesen.

Abbildung 4

Wird der Bürger überfordert?

Um allerdings beurteilen zu können, wie stark die Öl- und Benzinrechnung einschließlich der fälligen staatlichen Abgaben den Bürger wirklich belastet hat, muss man den gestiegenen Wohlstand berücksichtigen. Der Durchschnittsbürger kann sich heute viel mehr Güter leisten als vor 20 und erst recht als vor 60 oder gar 70 Jahren. Die Steigerung des Preisniveaus ist mit einer realen Entwicklung einhergegangen, die mehr, qualitativ bessere und völlig neue Güter und Produktionsweisen mit sich gebracht hat dank eines wesentlich größeren Kapitalstocks und einer dadurch wesentlich höheren Arbeitsproduktivität.

Althergebrachte Güter, zu denen die fossilen Brennstoffe für Kraftfahrzeuge zählen, sind im Zuge dieser Entwicklung viel erschwinglicher geworden. Abbildung 5 zeigt, dass man heute deutlich weniger Arbeitszeit aufwenden muss als früher, um das Geld für die gleiche Menge Kraftstoff zu verdienen.

Abbildung 5

1960 mussten Beschäftigte im Schnitt 16 Minuten arbeiten, um den Gegenwert für einen Liter Superbenzin (umgerechnet 34,2 Cent) zu erwirtschaften. Für einen Liter Diesel benötigten sie 13 Minuten Arbeitszeit. In den 1950er Jahren waren die Kraftstoffe noch deutlich teurer gewesen, die aufzuwendende Arbeitszeit entsprechend länger. Die Preise beider Kraftstoffe ab Zapfsäule näherten sich bis Anfang der 1970er Jahre an, so dass sich auch die aufzuwendende Arbeitszeit für ihre Bezahlung anglich. Das änderte sich erst Ende der 1980er Jahre wieder, als der Nettopreis für und die Abgaben auf Benzin schneller stiegen als bei Diesel.

Vor der ersten Ölpreiskrise waren nur noch ca. sechs Minuten Arbeitszeit für einen Liter Treibstoff nötig. Dieses Niveau wurde trotz der beiden Ölpreiskrisen Mitte und Ende der 1970er Jahre, die ja den Rohölpreis in die Höhe schnellen ließen, bis in die 1990er Jahre hinein fast halbiert, als zwischen drei und vier Minuten durchschnittlich bezahlter Arbeitszeit für den Erwerb eines Liters Treibstoff genügten. Dem Anstieg in den 2000er Jahren, der kurzzeitig auf das 6-Minuten-Niveau zurückführte, folgte erneut ein Rückgang auf deutlich unter fünf Minuten. Auch der aktuelle Anstieg bis Oktober 2021 ändert an dem Befund nichts: gemessen in Arbeitszeit ist Kraftstoff heute preiswerter als zur Zeit der Ölpreiskrisen. Im Durchschnitt der letzten 40 Jahre lag er unter der Marke von 5 Minuten. Wer heute über hohe Preise an der Zapfsäule klagt, klagt auf niedrigem Niveau.

Bedenkt man zusätzlich, dass die Effizienz der Verbrennermotoren und verbrauchsrelevante Details der PKW-Technologie seit den 1950er Jahren enorm zugenommen haben (Angaben zu dieselbetriebenen Industriemotoren zeigen, dass sie zwischen 1952 und 2015 um ein Viertel zugenommen hat), man also mit einem Liter Kraftstoff heute bei gleich schwerem Fahrzeug mehr Kilometer zurücklegen kann als vor 40 Jahren, ist der Preis für fossil betriebene Mobilität sogar noch stärker gesunken, als in Abbildung 5 dargestellt. Dass viele Fahrzeughersteller und Verbraucher diesen technischen Effizienzgewinn in höhere PS-Zahlen und luxuriösere Ausstattung ihrer Autos gesteckt haben, tut dieser Feststellung keinen Abbruch. Denn das bedeutet nur, dass eine mit Diesel oder Benzin gefahrene gleich lange Strecke aus Sicht des am Komfort interessierten Autofahrenden an Qualität gewonnen hat – so betrachtet also doch billiger geworden ist.

Preissignale notwendig für die ökologische Transformation der Wirtschaft, …

Vor dem Hintergrund dieses empirischen Befundes sind Forderungen wie die eingangs zitierten, den staatlichen Anteil am Endpreis für Super oder Diesel an der Zapfsäule zu senken, unvereinbar mit jeder marktwirtschaftlichen Strategie der Bekämpfung des Klimawandels. Die Drosselung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe benötigt, wenn sie denn mit marktwirtschaftlichen Mechanismen und nicht in erster Linie mit Verboten erreicht werden soll, ein klares Signal von Seiten der Preise. Nur wenn sich fossile Energieträger im Vergleich zu anderen Gütern stark und dauerhaft verteuern, werden sie durch klimaneutrale Energieträger substituiert.

Solche ökologisch dringend erforderlichen Preisentwicklungen bringen allerdings negative und vor allem sehr ungleich verteilte Einkommenseffekte mit sich, die man keinesfalls vernachlässigen darf, will man politische Mehrheiten für eine Transformation der Wirtschaft Richtung Klimaneutralität organisieren. Denn wohlgemerkt: Die vorgeführten Berechnungen beziehen sich auf den Durchschnittsnettostundenlohn bzw. das Durchschnittsnettogehalt pro Stunde einer Arbeitskraft in Deutschland. Da in den 1990er Jahren die Lohnspreizung und damit die Ungleichheit der Einkommensverteilung zu steigen begann, hat es für die Geringverdienenden seitdem keine so deutliche Verbilligung des Treibstoffs gemessen in Arbeitszeit mehr gegeben wie in den Jahrzehnten davor. Für die Einkommensbezieher der oberen Lohn- und Gehaltsstufen hingegen war dieser Trend umso ausgeprägter; ihr Arbeitsaufwand, um sich mit großen Mengen Kraftstoff zu versorgen, liegt deutlich niedriger als die oben genannten Zahlen. Entsprechend verschwenderisch können sie mit diesem Gut trotz aller bisher darauf erhobenen Abgaben umgehen – und sie tun das auch ausweislich des seit Jahren steigenden Anteils der SUVs an den Pkw-Neuzulassungen.

… aber ohne Ausgleich für die unteren Einkommensschichten nicht durchsetzbar

Die Antwort auf die ökonomischen und sozialen Probleme, die sich für die ärmeren Einkommensschichten aus den Preissteigerungen für Kraftstoffe ergeben, liegt daher bei staatlicher Umverteilung und bei den Löhnen. Der Staat muss zusätzliche Belastungen für Geringverdiener steuerlich und sozialpolitisch abfedern, und die Lohnspreizung auf Ebene der Primäreinkommen muss schleunigst und deutlich eingedämmt werden. Die anvisierte Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde ist ein Schritt in die richtige Richtung, da dadurch das Lohngefüge am unteren Ende in eine Aufwärtsbewegung geraten dürfte. Eine Dynamisierung des Mindestlohns und ein Bürgergeld, das in Not geratenen Bürgern eine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht, sind Bausteine zur Abfederung der unerwünschten Einkommenseffekte einer ökologisch gewollten Verteuerung bei den ärmeren Bevölkerungsschichten.

Entscheidend ist hier: Nur eine Subjektförderung ermöglicht, den Spagat zu meistern, der sich zwischen erwünschter preisgetriebener Verhaltensänderung aller und sozialpolitisch untragbarer Wohlstandsminderung bei den unteren Einkommensschichten ergibt. Subjekt ist der einzelne Mensch, der sich anpassen soll, mit der Anpassungsleistung aber nicht überfordert werden darf. Und Überforderung muss hier in Einkommenskategorien gedacht werden.

Mit einer Objektförderung etwa durch Anhebung der Pendlerpauschale, Absenkung der Mehrwertsteuersätze auf Kraftstoffe oder Verringerung der CO2-Steuern ist dem Klima nicht gedient. Denn so wird die notwendige Anpassung verlangsamt oder ganz ausgehebelt. Obendrein verschärft sich die Ungleichverteilung der Anpassungslasten bei einer Objektförderung noch. Wer dank geringen Einkommens kaum Einkommensteuer zahlt, profitiert nämlich von einer Anhebung der Pendlerpauschale wesentlich weniger als Gutverdienende. Wer sich dank geringen Einkommens keine weite Urlaubsreise und keine große Wohnung leisten kann, den entlastet eine verringerte Mehrwertsteuer auf fossile Energieträger weniger als reiche Fernreisende oder Bewohner von Luxushäusern.

Die internationale Dimension des Problems

Was unserer Politiker aber mindestens ebenso beachten müssen: Eine Strategie der Preissignale muss auf globaler Ebene ansetzen, um erfolgreich zu sein. Ein Blick auf die Kraftstoffpreise in verschiedenen europäischen Ländern veranschaulicht das Problem: In Polen erhebt der Staat auf Benzin mit 37,4 Cent pro Liter ungefähr ein Drittel weniger Energiesteuer als in Deutschland (65,45 Cent), was zu Tanktourismus in der Grenzregion führt. In den Niederlanden sind es mit 81,3 Cent hingegen rund ein Viertel mehr als hierzulande. In den USA ist das Autofahren aufgrund erheblich geringerer Besteuerung im Vergleich zu Europa geradezu spottbillig. Das grundlegend zu ändern, dürfte schon allein wegen des weniger dichten öffentlichen Nah- und Fernverkehrsnetzes in den USA noch schwerer durchzusetzen sein als diesseits des Atlantiks.

Von den Protesten der Autoindustrie hüben wie drüben ganz zu schweigen, die sich mit dem Totschlagargument wegfallender Arbeitsplätze bei zu starker Verteuerung des Individualverkehrs jederzeit Rückendeckung von Politik und weiten Teilen der Bevölkerung organisieren kann. Wie in Deutschland gleichzeitig weitgehend unwidersprochen über einen Mangel an Fachkräften und ganz allgemein an Arbeitskräften geklagt werden kann, bleibt ein Geheimnis der PR-Kunst einflussreicher Lobbyisten.

Nein, solange wir eine reale Steigerung der Preise für fossile Brennstoffe zu vermeiden suchen, statt sie zuzulassen und parallel dazu die Einkommenseinbußen für Ärmere auszugleichen, kommen wir einer sozial verträglichen und damit demokratisch getragenen Lösung der Klimakrise mit marktwirtschaftlichen Instrumenten keinen Schritt näher.