Betreiben Banken Fristentransformation? Sind sie noch Intermediäre? – Und wenn ja: Was hat das mit den Zinsen zu tun?

Ein Gastbeitrag von Joachim Nanninga

Wer Gold sein Eigen nennen kann, es zur staatlichen Münze bringen kann und es als gesetzliches Zahlungsmittel zurückerhält, um es im Ledersäckchen nach Hause zu tragen, ja – der weilt nicht mehr unter uns, ist längst begraben, seine Grabstelle diente wahrscheinlich schon nachfolgenden Bestattungen. Wer der Meinung ist, Banken würden das Geld der Sparer weiterverleihen, auf diesem Wege selbst höhere Zinsen einnehmen und kleinere geben, lebt geistig noch in dieser Gold-Welt. Er macht sich wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass er zur Entstehung der modernen Zahlungsmittel unserer Tage noch gar kein Wort verloren hat. Unser „Geld“ existiert – bis auf den kleinen, zu vernachlässigenden Rest des Münzgeldes – nur unter der Bedingung, dass es als Verbindlichkeit in irgendeiner Bankbilanz gebucht ist. Mit anderen Worten: Es handelt sich um Fiat- oder Kredit-Zahlungsmittel.

Spätestens seit Albert Hahns Monografie „Volkswirtschaftliche Theorie des Bankkredits“ von vor gut 100 Jahren ist dies die gut begründete Darstellung der Zusammenhänge in der modernen Geldwelt. Sind wir seitdem gezwungen, unsere Sicht der Banken als Finanz-Intermediäre, als Transformatoren für Fristen, Risiken und Losgrößen im Kreditwesen, als Profiteure einer Zinsmarge zwischen gezahlten und eingenommenen Zinsen auf den Müllhaufen der als Irrlehren erkannten Theorien zu werfen? Diesen Eindruck könnte man bei der Lektüre des Debatten-Beitrages von Steinhardt/Grunert gewinnen. 

Die beiden Autoren wollen mit einer kritischen Besichtigung der Zinsmargen als Geschäftsmodell der Banken zeigen, dass die Rolle der Banken als intermediäre Transformatoren obsolet sei, wenn man die sogenannte Geldschöpfung aus dem Nichts bejaht. Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker hatten in ihrem Beitrag die Bedeutung der Kreditzinsen für die konjunkturelle Entwicklung in eine Verbindung zum Modell der Fristentransformation gestellt und die sich versteifende Bereitschaft der Banken zur Kreditvergabe mit einer inversen Zinsstruktur.

In meinem ersten Debatten-Beitrag „Streit um die Zinsen?“ hatte ich den  – offensichtlich vergeblichen  – Versuch unternommen, die Positionen der Parteien zusammenzuführen, um den Blick für die wirklich relevante Frage der konjunkturellen Bedeutsamkeit der Zinshöhe zu öffnen. Mir scheint, Grunert und Steinhardt haben einen weiteren Anlauf genommen, um bei Flassbeck und Spiecker durch eine weit geöffnete Tür zu brausen. Es ist daher angezeigt, die Rolle der Banken als Intermediäre mit ihren Funktionen der Fristen-, Risiken-, und Losgrößen-Transformation näher zu beleuchten.

Ich möchte zeigen,

  • dass die Frage nach dem Bankengewinn eine triviale Antwort hat und keinen Streit wert ist,
  • dass die Banken durchaus die Rolle der intermediären Transformatoren wahrnehmen, auch und gerade im Fiat-Geld-System,
  • dass ein Anstieg der kurzfristigen Zinsen über die langfristigen eine dämpfende Wirkung für die Konjunktur erwarten lässt und
  • dass in einer solchen Situation Refinanzierungskosten für Banken mit negativem Saldo im Zahlungsverkehr zu dem Mechanismus zu zählen sind, der die Kreditbedingungen für Bankkunden verschärft.

Beginnen wir mit der Frage nach dem Gewinn der Banken und der Rolle der jeweiligen Zinsen für diesen Gewinn. Die volkswirtschaftliche Rolle der Banken ist die Gewährleistung der Zahlungsfähigkeit aller ausreichend solventen Teilnehmer am Wirtschaftsleben und die Gewährleistung eines störungsfreien Zahlungsverkehrs zwischen allen Wirtschaftern. In unserer Volkswirtschaft verbinden die Banken diese Aufgabe mit ihren Interessen als gewinnorientierte Unternehmen. Sie müssen regelmäßig bilanzieren und eine Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) vorlegen. In der GuV werden den Erträgen die Aufwendungen gegenübergestellt. Eine positive Differenz ist ein Gewinn und vermehrt, wenn nicht ausgeschüttet, das Eigenkapital, eine negative Differenz vermindert es. 

Zweifellos sind eingenommene Zinsen auf gewährte Kredite Erträge; ebenso wie ausgegebene Zinsen auf Einlagen oder für selbst in Anspruch genommene Kredite Aufwand sind. Die negative Verzinsung der Zentralbank-Einlagen einer Geschäftsbank gehört ebenfalls zu deren Aufwand und belastet den Gewinn. Die GuV hat aber noch eine Vielzahl weiterer Positionen, zu denen der Aufwand z.B. für Personal, sächliche Ausstattung und Dienstleistungen und der Ertrag aus dem Investmentgeschäft gehören. Mit dem Hinweis auf Zinsen als Ertrag und Zinsen als Aufwand sollte eigentlich schon deutlich sein, dass es um den Gewinn umso besser bestellt ist, wenn deren Differenz einen möglichst großen absoluten Betrag ergibt. Wir können das in der Bilanz der Deutschen Bank für 2020 sehen: Sie weist für „Zinsen und ähnl. Erträge“ 17.806 Mio € und für „Zinsaufwendungen“ 6.280 Mio € aus. Zum Zinsaufwand kommt noch die gewinnbelastende „Risikovorsorge im Kreditgeschäft“ mit 1.792 Mio € hinzu, so dass ein „Zinsüberschuss“ von 9.734 Mio € in der GuV ausgewiesen wird. Personal- und Sachaufwand waren mit jeweils etwas mehr als 10.000 Mio € so groß, dass die Deutsche Bank ohne zinsunabhängige Erträge gar keinen Gewinn gemacht hätte, der schließlich 495 Mio € für das Jahr 2020 betrug – und damit je Aktie 7 Cent.

Der kurze Blick in die GuV einer Geschäftsbank zeigt, dass die Diskussion um die Zinsmarge wenig Sinn macht. Höhere Zinsen für Verbindlichkeiten einer Bank belasten den Gewinn, höhere Zinsen für Forderungen einer Bank lassen den Gewinn wachsen. Steinhardt/Grunert verwenden viel Energie auf den Nachweis, dass die von einzelnen Banken im Geschäftsverkehr untereinander gezahlten Zinsen für den Bankengewinn wenig Bedeutung haben. Dass dieser Posten für das Bankensystem (Geschäftsbanken mit Zentralbank) insgesamt ein Nullsummenspiel ist, ist trivial und ohne weiteres einzusehen. Alle Ausgaben und Einnahmen zwischen Banken sind dort im Saldo immer null. Der Gewinn, den das Bankensystem per Saldo macht, kann es nur durch Leistungstransaktionen mit den Nicht-Banken erreicht haben. Und jedes Mehr der vom Nicht-Bankensektor eingenommen Zinsen und jedes Weniger der zugunsten des Nicht-Bankensektors verausgabten Zinsen wirkt sich trivialerweise gewinnsteigernd aus. 

Fristeninkongruenz als Risiko im Kreditgeschäft

Steinhardt/Grunert behandeln die Fristentransformation als einen anderen Ausdruck für die Refinanzierungskosten (Zins-Kosten für die Beschaffung von Zentralbankgeld zur Deckung von Salden im Zahlungsverkehr) im Verhältnis zu den Zinseinnahmen aus dem Kreditgeschäft. Da die Refinanzierungskosten für das Bankensystem per Saldo null sind, sei die These der Fristentransformation nicht zu retten. Das Bankensystem als Ganzes hat in der Tat und trivialerweise kein Refinanzierungsproblem für seine Kredite. Die Summe der Bankeinlagen der Nicht-Banken ist immer gleich der Summe der Bankkredite der Nicht-Banken (wenn wir vom Münzgeld absehen). Refinanzierung ist immer ein Partialproblem für Banken mit negativem Saldo im Zahlungsverkehr. Das enthebt die Banken allerdings nicht der Herausforderung des Risikomanagements. Die Jüngeren haben die Zusammenbrüche in der Finanzkrise erlebt, die etwas Älteren noch die Herstatt-Pleite.

Banken kommen in eine existenzbedrohende Schieflage, wenn ihnen nicht mehr vertraut wird, alle Verbindlichkeiten bedienen zu können, d.h. im kritischen Fall den Abzug aller Einlagen meistern zu können. Hier ergibt sich im schlechtesten Fall für die betroffene Bank ein unüberwindbares Fristenproblem, wenn sich längerfristige Kredite nicht ausreichend schnell und nicht in ausreichender Nähe zum bilanzierten Wert liquidieren lassen. Das Bankensystem als Ganzes wäre selbstverständlich immer in der Lage – sogar ohne die Zentralbank – das Problem zu lösen. Schließlich sorgen die abgewanderten Einlagen für erhöhte Liquidität der übrigen Banken. Erst recht kann der Staat als erstklassiger Schuldner in eigener Währung Rettungsmaßnahmen durchführen. Solides Risiko-Management einer Bank sorgt dafür, dass die Summe der Abschläge beim notgedrungenen Veräußern der Aktiva zur Abdeckung der Zahlungsabflüsse nicht das Eigenkapital übersteigt. Eine Bank, die eine solche Risiko-Politik für Außenstehende ausreichend deutlich machen kann, läuft kaum das Risiko, von den Notmaßnahmen jemals Gebrauch machen zu müssen.

Haben Steinhardt/Grunert womöglich das Problem wegdefiniert, dass wegen der Kurzfristigkeit der Kundeneinlagen (Bank-Passiva) und der Langfristigkeit der Kredite (Bank-Aktiva) ernstere Probleme entstehen könnten, als sich im Interbankenmarkt oder bei der Zentralbank Reserven besorgen zu müssen? Für die Zentralbank dagegen ist just die Kurzfristigkeit ihrer Passiva gar kein Problem, weil sich die von den Geschäftsbanken gehaltenen Einlagen im Gefängnis der Gesamtheit der Zentralbankkonten mit dem Urteil „lebenslänglich“ aufhalten und nur von „Haftraum“ zu „Haftraum“ wechseln können, „Freigang“ als Bargeld eingeschlossen; „Ableben“ des Zentralbank-Geldes als Erlöschen der Einlagen und gleichzeitiges Abwandern gleichwertiger Aktiva aus der Zentralbank-Bilanz bleiben unbenommen. Nur deshalb kann die Zentralbank lender of last resort spielen – ganz unabhängig von der Entwicklung ihres Eigenkapitals.

Das Problem der Fristeninkongruenz zwischen Banken-Passiva und Banken-Aktiva, das im Geschäft der Geschäfts-Banken gar nicht zu vermeiden ist und sich im Krisenfall bei nicht ausreichender Vorsorge fatal auswirken kann, kann durch Rettungs-Garantie (too big to fail) in den Hintergrund geraten. Es taucht dann aber zwangsläufig in neuem Gewande wieder auf: Wen man vom Risiko befreit, die Konsequenzen seines Handelns tragen zu müssen, den muss man entsprechend beaufsichtigen und gegebenenfalls steuern, wenn man nicht für Schäden seiner Fehler und Untaten aufkommen will.

Ist die Fristentransformation noch zu retten?

Dass Banken das Risiko aus der für ihr Geschäft typischen Fristeninkongruenz ihrer Aktiva und Passiva managen müssen, heißt noch nicht, dass ihr Geschäft eine Fristentransformation beinhaltet. Ökonomen, die sich noch nicht ausreichend über die Gegebenheiten der modernen Geld-Welt informiert haben und daher das Bankgeschäft als Verleihprozess beschreiben, haben das Bild im Kopf, dass Banken von Sparern kleinere Beträge einsammeln, die dann für den Verleih in größeren Summen weitergereicht werden sollen. Fristentransformation ist aber in der Welt des Kreditgeldes, in der für den kreditwilligen Bankkunden die Einlage und die Kreditverbindlichkeit ebenso im gleichen Schritt entstehen, wie für die Banken die Kreditforderung an den Kunden und die sofort fällige Verbindlichkeit ihm gegenüber etwas anderes. Der Kredit, um den der Bankkunde gebeten hatte, war für ihn z.B. nötig, um eine Rechnung sofort begleichen zu können, ohne die eigene Zahlungsfähigkeit herabzusetzen. Die Bank hat für ihn die spezifische Bank-Dienstleistung erbracht, seine sofort fällige Verbindlichkeit gegenüber seinem Lieferanten in eine entsprechend den Bedingungen des Kreditvertrages längerfristige Verbindlichkeit gegenüber der Bank zu verwandeln. Ob mit dem Kreditvertrag und der anschließenden Zahlung an den Lieferanten zusätzliche Zahlungsmittel die sog. Geldmenge vermehrt haben, hängt davon ab, ob die Zahlung auf ein debitorisches Kontokorrent-Konto eintrifft oder nicht. Wenn das Zielkonto rote Zahlen aufweist, die mindestens dem Rechnungsbetrag des unseres Kreditkunden entsprechen, sind die Zahlungsmittel kaum, dass sie das Licht der Welt gesehen haben, auch schon wieder erloschen.

Für alle, die sofort zahlen müssen, kann der Bankkredit also die Frist der Tilgung der Verbindlichkeit transformieren, d.h. verlängern. Wirtschafter mit potentiell unendlicher Lebensdauer, also juristische Personen (Staat oder Unternehmen), nutzen die Fristentransformation revolvierend für einen potentiell unendlichen Aufschub ihrer Tilgungsverpflichtung. Für die Gläubiger sorgt der Bankkredit der Schuldner ebenso für eine Risikotransformation. Die Gläubiger sind am Austauschprozess interessiert, der ihre Forderungen gegen eine Nicht-Bank in die weniger risikobehaftete Forderung gegen eine Bank verwandelt.

Mit etwas gutem Willen lässt sich sogar der Losgrößen-Transformation ein vernünftiger Sinn geben. Auch hier gilt wieder: Diese Transformation ist nicht etwa das Einsammeln kleiner Beträge von „kleinen Sparern“, um es in größeren Geldbündeln an Kreditsuchende weiterzureichen. Diese Vorstellung gehört in die Welt der Goldumlauf-Währung. In unserer modernen Geldwelt ermöglicht es das Bankensystem, dass Schuldnern mit sehr großen Ausgabenüberschüssen eine Vielzahl von kleineren Gläubigern mit kleinen Einnahmeüberschüssen gegenüberstehen kann. Nur mit den Banken als Intermediären zwischen Debitoren (Schuldnern) und Kreditoren (Gläubigern) sind die großen negativen und vielen kleinen positiven Differenzen zwischen Einnahmen und Ausgaben möglich, wenn sich nicht alle Wirtschafter gegenseitig direkten Kredit geben wollen.

Das Zusammenspiel von Fristeninkongruenz und Zinsänderungen

Dass ein – in der Regel von der Zentralbank veranlasster – Anstieg der kurzfristigen Zinsen über die langfristigen eine dämpfende Wirkung für die Konjunktur erwarten lässt, sollte eigentlich niemanden überraschen. Höhere kurzfristige Zinsen sind ein Anreiz für Sparer, ihr Netto-Geldvermögen zu vermehren bzw. Schulden zu tilgen, um den höheren Kontokorrent-Zinsen zu entgehen. Die höheren kurzfristigen Kreditzinsen verursachen für die Geschäftswelt höhere Kosten, ebenso wie eine im Schlepptau folgende Erhöhung der langfristigen Zinsen. Die Erwartung des Steigens der langfristigen Zinsen dämpft die Erwartungen für die Entwicklung der Erlöse der Unternehmen.

Wie kommt es nun zu einer Erhöhung der kurzfristigen Zinsen? Die Geldpolitik der Zentralbank ist die entscheidende Ursache. Die Zentralbank kann die Zinsen für die Kredite der Geschäftsbanken diskretionär festlegen und macht davon Gebrauch, um die Inflation auf Kosten sich entwickelnder Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Dieser Arbeitsmarkt hat wiederum rezessive Wirkung auf den Konsum. Die damit verbundenen konjunkturellen Erwartungen wirken auch in Richtung einer Versteifung der Kreditbedingungen zwischen Nichtbanken. Grundsätzlich sind Nicht-Banken frei, ihre Kreditbedingungen frei auszuhandeln. Tatsächlich können sie sich in der Regel von der Richtung, die die Zentralbank vorgibt oder die vorherrschenden wirtschaftlichen Erwartungen im Allgemeinen oder in spezifischen Branchen nahelegen, nicht freimachen. Das zeigt folgendes Beispiel: Ein großer industrieller Erzeuger von Spezialchemikalien lässt seine Produkte von unabhängigen Grossisten vermarkten, denen er 120 Tage Zahlungsziel einräumt. Er selbst hat als großes Unternehmen besseren Zugang zu Bankkrediten als seine direkten Abnehmer, deren Erfolg auch sein eigener ist. Bei leichter konjunktureller Eintrübung zwingen ihn Rating-Agenturen, seine Kreditbedingungen gegenüber den Grossisten zu verschärfen und das Zahlungsziel auf 90 oder auch 60 Tage zu verkürzen. Würde er dieser Vorgabe nicht nachkommen, würden sich seine eigenen Refinanzierungsbedingungen weiter verschärfen.

Gäbe es in der Volkswirtschaft neben der Zentralbank nur eine einzige Geschäftsbank, wäre der Hebel des Hauptrefinanzierungssatzes allerdings wirkungslos. Denn diese Geschäftsbank käme nie in die Verlegenheit, Zentralbankgeld leihen zu müssen, es sei denn, ihre Kunden wollten Bargeld halten. Die Zentralbank hat allerdings noch einen anderen Hebel: die Mindestreserve, die die Geschäftsbanken in Abhängigkeit ihres Kreditvolumens halten müssen. Diese Mindestreserve, der Bargeldumlauf und die Menge Zentralbank-Aktiva (insbesondere Wertpapiere, Devisen und Gold) begrenzen die Menge der Reserven, über die von den Geschäftsbanken verfügt werden kann. Die Erhöhung der Mindestreserve, größerer Bargeldumlauf und Verkauf von Aktiva durch die Zentralbank wirken auf die Zentralbank-Geldmenge reduktiv und lassen auch die langfristigen Kredit-Zinsen steigen.

Die Möglichkeiten der Geschäftsbanken, Kredite zu vergeben und damit die sogenannte Geldmenge M1 zu erweitern, sind also nicht unbegrenzt. Der Multiplikator, der bezogen auf die Geldbasis, also Zentralbank-Geldmenge, die Grenzen für die Größe der Geldmenge M1 aufzeigt, ergibt sich aus den Passiva der Zentralbank, der Rate, in der Bargeld gehalten wird, und der von der Zentralbank für die Geschäftsbanken festgesetzten Mindestreserve. Wenn eine Bank sich für zusätzliche Kredite um eine Erhöhung ihres Mindestreservebestandes bemühen muss, ist sie auf die Bereitschaft der Zentralbank angewiesen und muss die zusätzlichen Zins-Kosten tragen. Diese Kosten entstehen unabhängig von den Salden im Zahlungsverkehr. Bei inverser Zinsstruktur könnten Kredite unwirtschaftlich werden, die diese Refinanzierungsnotwendigkeit auslösten.

Mit der Erhöhung des Hauptrefinanzierungssatzes erhöhen sich die Refinanzierungskosten für Banken mit negativem Saldo im Zahlungsverkehr. Der Hauptrefinanzierungssatz entfaltet umso mehr Wirkung, je größer die Salden der Geschäftsbanken im Zahlungsverkehr sind. Geschäftsbanken mit positivem Saldo sind im Interbankenverkehr zwar nicht gezwungen, ihre Reserven zu höheren Zinsen zu verleihen, haben aber keine Veranlassung auf diese Einnahmequelle zu verzichten. Ihre Zinsforderungen werden etwas unter dem Hauptrefinanzierungssatz bleiben, so dass die kreditnehmende Bank einen Vorteil gegenüber der Kreditierung durch die Zentralbank behält. Kleinere Geschäftsbanken, die infolge der Kreditvergabe mit negativem Saldo im Zahlungsverkehr zu rechnen haben, müssen die höheren Refinanzierungskosten in den Kreditzins für ihre eigenen Kreditkunden einkalkulieren. 

Welche Bedeutung hat die Fristeninkongruenz der Einlagen (Bank-Passiva: sofort fällig, höchste Liquiditätsstufe) und der Kredite (Bank-Aktiva: je nach Kreditvertrag mit längerer Frist verbunden, nur mit Abschlägen zu liquidieren und risikobehaftet) bei inverser Zinsstruktur? Die Refinanzierung infolge des Zahlungsverkehrs ist ein Partialproblem, das für Banken mit negativem Saldo im Zahlungsverkehr Kosten auslöst, für andere Banken umgekehrt Chancen auf Zinserträge generiert, wenn sie denn den kreditbedürftigen Banken Vertrauen schenken wollen. Für alle Banken stellt sich aber die gleiche Frage, inwieweit sich die Risikovorsorge verschärft, wenn kreditversorgte Unternehmen unter den verschärften Kreditbedingungen in ihrer Überlebensfähigkeit bedroht sind.

Welches Resümee lässt sich für die Debatte ziehen?

Ehnts/von Ahlen hatten in ihrem Beitrag mit einem recht schlicht gestrickten Modell, das ohne Produktivitätsveränderungen den zusätzlichen Gewinn der Unternehmer nur durch zusätzliche Ausgaben entstehen sieht, wenn er nicht auf Kosten der Arbeitnehmerseite entstehen soll, für zusätzlich Staatsausgaben geworben, mit denen die Arbeitslosigkeit beseitigt werden sollte. Den Zinsen im Rahmen der Geldpolitik schreiben sie keine relevante Wirkung zu. Flassbeck/Spiecker haben eine vierteilige Serie dem Nachweis der nach wie vor gegebenen Bedeutsamkeit des Zinses für die Volkwirtschaft gewidmet. Die Beteiligten scheinen sich aber alle darüber einig zu sein, was wohl herrschende Meinung auch über postkeynesianische und MMT-Kreise hinaus ist, dass die Geldpolitik zwar die Konjunktur abwürgen und Arbeitslosigkeit hervorrufen kann, dass sie aber durch Zinssenkungen womöglich ein Konjunkturhemmnis abbauen, die Konjunktur aber nicht wirklich stimulieren kann. Die spannenden Fragen, wer mit welchen Mitteln zur Belebung der Konjunktur beitragen kann oder sollte und welche Kredit- und Zins-Mechanismen dabei eine Rolle spielen, sind schließlich ganz aus dem Blickfeld geraten. Flassbeck/Spiecker haben dazu leider unnötig beigetragen. Sie weisen darauf hin, dass die aus dem Zahlungsverkehr resultierenden Refinanzierungskosten bei inverser Zinsstruktur auf die Kreditvergabe restringierend wirken können und insoweit rezessive Tendenzen verstärken. Die unglückliche Verbindung dieses korrekten Hinweises mit dem Bild der alten, auch von Flassbeck/Spiecker als falsch gekennzeichneten Fristentransformation (Banken verleihen sofort fällige Einlagen als langfristige Kredite), haben Steinhardt/Grunert zu heftigen Stellungnahmen veranlasst, wo doch eine kleine Richtigstellung Genüge getan hätte. Zum Geschäftsmodell der Banken als Kreditgeber gehört in der Tat die Fristentransformation im hier dargestellten Sinne. 

Intermediäre?

Aber nicht nur die Fristentransformation, sondern auch die Rolle der Banken als Intermediäre wird von vielen Ökonomen im Überschwang ihrer Erkenntnis der „Geldschöpfung aus dem Nichts“ fälschlicherweise für obsolet erklärt. Banken sind und bleiben aber Intermediäre, auch wenn sie den Spargroschen der kleinen Anleger an die großen Kreditnehmer nicht „verleihen“. Sie stehen zweifelsfrei als Intermediär zwischen Gläubigern (Kreditoren) und Schuldnern (Debitoren). Jede Kreditvergabe berührt ebenso wie jede Kredittilgung zweifelsfrei ein aktivisches Debitoren-Konto und ein passivisches Kreditoren-Konto in der Bankbilanz. Diese Intermediär-Rolle zwischen Debitor und Kreditor nehmen die Banken auch dann ein, wenn der Bankkunde als Gläubiger und Schuldner rechtlich eine Person (als natürliche oder juristische Person) ist. In diesem Fall ist die Bank sogar intermediär positioniert zwischen ihrem Kunden in zwei unterschiedlichen Rollen. Wenn dieser seine Liquidität für eine schuldbefreiende Zahlung nutzt, steht die Bank intermediär zwischen diesem Kunden und dem Zahlungsempfänger. Der vorschnelle, unberechtigte Verweis der Intermediär-Rolle der Banken mit den Funktionen der Transformation von Fristen etc. auf den Abfallhaufen der Theoriegeschichte beruht auf einer unzureichenden Trennung zwischen Zahlungsmittel- und Geldvermögens-Umschichtungen. Was im modernen Geldsystem für die Ebene des Geldvermögens gilt, gilt nicht für die Ebene der Zahlungsmittel. Zahlungsmittel werden von Banken nur dann intermediär weiterverliehen, insoweit sie sie nicht selbst „schöpfen“ können (ZB-Geld und Devisen). Zahlungsmittel entstehen heute (werden „geschöpft“, und nicht weitergereicht), indem Banken bei einer Geldvermögensumschichtung intermediär zwischen die beteiligten Wirtschafter treten (wenn sie nicht lediglich den Liquiditätsbedarf des einzelnen Wirtschafters bedienen, wie oben beschrieben.)

Eventualverbindlichkeiten???

Ich vermute, zu einer Klärung des Dissenses kann es erst kommen, wenn Grunert und Steinhardt uns über die Bedeutung ihres Begriffes „Eventualverbindlichkeiten“ in ihrer Geldtheorie aufklären.

Die auf den Kundenkonten der Banken notierten Verbindlichkeiten einer Bank (Habenbuchung auf einem Passivkonto) sind die Zahlungsmittel der Nichtbanken. Grunert/Steinhardt gebrauchen den Ausdruck „Eventualverbindlichkeit“ für diesen Buchungsposten. Ich glaube hier einen Phantomschmerz im Phantomglied des nicht mehr vorhandenen wahren Gold-Geldes spüren zu können.

Eventualverbindlichkeit gibt es für Banken tatsächlich. Sie werden in der Rechnungslegung der Banken – wie bei Nicht-Banken-Unternehmen – „unter dem Bilanzstrich“ mitgeteilt. Sie bilden schwache Haftungsrisiken ab, die erst ab Eintritt einer derzeit noch nicht gegebenen Wahrscheinlichkeit als Rückstellung ergebniswirksam in die Bilanz Eingang finden („oberhalb des Bilanzstrichs“). Grunert/Steinhardt meinen aber, den großen Passiv-Posten der Kundeneinlagen – praktisch den kompletten Zahlungsmittelbestand der Wirtschaft ohne das Bargeld – zu einer Eventualverbindlichkeit der Geschäftsbanken erklären zu sollen. Und selbst das sei ein dahingebasteltes Konstrukt. Der Ausdruck „Eventual…“ mag wohl suggerieren, dass die Verbindlichkeit der Bank etwas anderes ist als die Verbindlichkeiten einer Nicht-Bank. Das ist tatsächlich so. Denn die Bankverbindlichkeit ist Zahlungsmittel für den Kunden. Der Eventualfall für die Bank ist der negative Saldo im Zahlungsverkehr inklusive der Barabhebung des Kunden. Hier muss die Bank mit Reserven geradestehen. 

Ich sehe das Problem in Grunerts/Steinhardts Geldtheorie darin, die Passivposition in der Bankbilanz isoliert beurteilen zu wollen. Wenn wir nun schon doppelte Buchführung betreiben, müssen wir immer ganze Buchungssätze in den Blick nehmen. Da werden immer mindestens zwei Konten berührt. Das führt zu der Frage: Wenn die Bankverbindlichkeiten „nur“ eventual wären, oder auch als substanzlos angesehen werden, wie steht es dann mit den Posten auf der Aktivseite der Bankenbilanz? Gelten die behaupteten Charakteristika der Passivpositionen auch für die Aktivposten der Banken, also die Kreditforderungen der Banken an Kreditnehmer? Wenn das der Fall wäre, was wäre dann an Einsicht gewonnen? Wir würden womöglich auf die Besonderheit des Bankensystems insgesamt hinweisen, dessen Vermögensbestand bezogen auf ihren Kern, nämlich des Bankreditvolumens und der Bankeinlagen der Kunden, immer null ist. Diese Saldierung des Netto-Bankkreditvolumens und des Zahlungsmittelbestandes zu null ist eine Grundeigenschaft des modernen Geldsystems ohne monetisiertes Edelmetall. Wollen Grunert/Steinhardt dem Bild Vorschub leisten, Banken könnten durch Kreditvergabe Vermögen schöpfen: Die Aktiva bleiben „echte“ Forderungen, die Verbindlichkeiten sind dagegen „substanzlos“?

Nehmen wir für einen Augenblick an, wir hätten nur eine einzige Bank und diese Bank würde ihre Passiva tatsächlich als eventuale Verbindlichkeit außerhalb der Bilanz – „unter dem Bilanzstrich“ – mitteilen, dann würde jeder vergebene Kredit sofort positiv ergebniswirksam. Das Vermögen der Bank wäre in gleicher Höhe gewachsen. Jede Kredittilgung wäre dann aber auch sofort ein Verlust der Bank, weil ein Teil der Bankaktiva wegfiele, die Buchung auf der Passivseite aber gegen das Eigenkapital vorgenommen werden müsste. Mit einer solchen Buchungstechnik wird überhaupt nichts gewonnen. Wer die Passiva für substanzlos erklärt, müsste es auch für die Aktiva tun – hätte dann aber damit nichts ausgesagt und nichts gewonnen. Die Entstehung von Fiat-Zahlungsmitteln mittels Bankkredit im modernen Geldsystem ist eine geldvermögensneutrale Transaktion – nicht dagegen die damit zugleich entstehenden Zinszahlungsverpflichtungen. Die mit der Zahlungsmittel-Entstehung gleichbedeutenden Forderungen und Verbindlichkeiten sind für keine der beteiligten Parteien „eventual“. Die Nichtdurchsetzbarkeit dieser Forderungen oder die fehlende Fähigkeit der Bedienung der Verbindlichkeiten kann im Einzelfall und eventuell den wirtschaftlichen Untergang zur Folge haben.