Die deutschen Ökonomen von links bis ganz rechts sind sich weitgehend einig: Die Krise der deutschen Wirtschaft ist irgendwie strukturell. Gerade hat der Chef des Instituts, das eigentlich am besten Bescheid wissen sollte, nämlich Clemens Fuest von Ifo-Institut, eine solche „Diagnose“ in der FAZ bestätigt. Er sagt, es gebe in der deutschen Wirtschaft eine Stagnation schon seit 2019, weil, man höre und staune, weil das Niveau der gesamtwirtschaftlichen Produktion heute auf dem des Jahres 2019 liege. Er sagt explizit, man habe mehr als sechs Jahre Stagnation hinter sich und das habe es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben.
Stagnation seit 2019?
Für einen ernsthaften Wissenschaftler wäre eine solche Argumentation mehr als nachlässig. Weil es, wie jeder halbwegs informierte Mensch weiß, im Jahr 2020 einen Corona-Einbruch gegeben hat, der die deutsche Wirtschaft weit nach unten zog. Danach gab es einen Aufschwung, der bis zum zweiten Quartal 2022 dauerte (Abbildung). Danach begann der Abschwung, der nach den revidierten Zahlen (die schwarze Kurve) des Statistischen Bundesamtes viel stärker ausfiel als zunächst angenommen. Eine sechsjährige Stagnation gibt es nicht, sondern einen dreijährigen konjunkturellen Abschwung.

Im Jahr 2022 sah es mit der deutschen Wirtschaft zu Anfang so gut aus, dass die Institute, (natürlich einschließlich des ifo-Instituts) einen Investitionsboom sondergleichen für 2023 prophezeiten (wie hier gezeigt). Jetzt sagt der Ifo-chef, die Investitionen seine derzeit so niedrig wie 2017. Das stimmt, aber wo war Herr Fuest die ganzen Jahre? Hat er nie in seinem Institut mit den Konjunkturexperten gesprochen? Die haben schon vor Monaten festgestellt, dass es den Unternehmen vor allem an Nachfrage fehlt.
Nachfrageproblem, sonst nichts!
Obwohl der Befund fallender Auslastung der Kapazitäten der Unternehmen und damit der zyklische konjunkturelle Verlauf eindeutig sind, vermeiden Ökonomen wie Clemens Fuest das Wort „Konjunktur“. Das hat einen guten Grund. Sie wollen partout jede Diskussion im Keim ersticken, die darauf hinauslaufen könnte, dass der Staat in Schwächephasen die Nachfrage anregen muss. Nachfragestimulierung würde nämlich in erster Linie der Masse der privaten Haushalte zugutekommen, denn die sind unbestreitbar die wichtigsten Nachfrager. Das wäre „keynesianisch“ und genau das wollen sie aus ideologischen Gründen nicht sein. Also versucht man erst gar keine ernsthafte Diagnose, sondern flüchtet jedes Mal in die „große strukturelle“ Krise, wenn es der Wirtschaft einfach an Nachfrage fehlt. Dort treffen sie sich dann übrigens mit vielen Linken, die „keynesianisch“ von vornherein für eine Fehldiagnose halten.
Schaden tut man damit den Unternehmen. Jetzt müsste man schnell und unbürokratisch dafür sorgen, dass mit Hilfe eines staatlichen Konjunkturprogramms die Masse der deutschen Haushalte mehr Geld in der Tasche hat, mehr Güter kauft und sich damit die Kapazitätsauslastung der Unternehmen verbessert. Das sichert unmittelbar Arbeitsplätze und hilft, einen Umschwung in Gang zu setzen, der längerfristig aufwärtsgerichtet ist.
Strohfeuer sind wichtig
Weil Unternehmen investieren, verbessert sich die Lage der Unternehmen (wie u. a. hier gezeigt) und die gesamte Wirtschaft bekommt mehr Schwung. Man kann es auch so sagen: Weil der Staat mit einer kreditfinanzierten Entlastung von Steuern und Abgaben ein Strohfeuer entfacht, kommt ein konjunkturelles Feuer in Gang, das durchaus lange anhalten kann. Gibt es kein Strohfeuer, gibt es überhaupt kein Feuer. Wer in dieser Situation staatliche Ausgaben kürzt, beim Bürgergeld oder anderswo, verschlechtert unmittelbar die konjunkturelle Lage und damit die Chance, aus der Abwärtsspirale herauszukommen.
Man muss sich immer vor Augen halten: Die von vielen Ökonomen, von links und von rechts, empfohlenen positiven Angebotsschocks, die der Staat auslösen soll, gibt es auch nur, wenn der Staat im Gegenzug mehr Schulden akzeptiert. Wenn der Staat versucht, die Belastungen der Unternehmen zu senken, nehmen wir einmal an über sinkende Beiträge zur Rentenversicherung oder zur Krankenversicherung, gibt es immer eine negative Gegenbuchung in Form sinkender Ausgaben der Renten-oder Krankenversicherung, die unmittelbar die Nachfrage der Unternehmen vermindert. Es sei denn, dass irgendeine Institution bei dieser Operation – der Staat oder die Versicherungen – trotz der sinkenden Einnahmen gleichviel ausgibt, wie vorher und sich folglich in Höhe des Einnahmeausfalls verschuldet.
Schulden sind keine Medizin gegen eine Krankheit
Clemens Fuest sagt: „Schulden sind nicht per se schlimm, sondern manchmal auch sehr nützlich. Ich vergleiche sie deshalb gern mit Antibiotika, die schon so vielen Menschen das Leben gerettet haben. Aber auch Antibiotika sind nicht per se gut oder schlecht. Es kommt immer darauf an, wie man sie einsetzt.“ Das ist ein völlig neben der Sache liegender Vergleich. Schulden sind keine Medizin, sondern die immer und überall notwendige Gegenposition zu dem Versuch einzelner Gruppen, unter ihren Verhältnissen zu leben, also zu sparen.
Niemand anders als die Unternehmen sind permanent darauf angewiesen, dass über niedrige Zinsen und über eine ausreichend große Verschuldungsbereitschaft anderer Sektoren ihre Bilanzen wenigstens wieder ausgeglichen werden. Sie haben einen Großteil der Einkommen aller Haushaltsgruppen ausgezahlt. Diese fließen jedoch nicht wieder vollständig zurück, weil gespart wird. Schulden sind folglich das völlig normale Ergebnis jeder Art von Wirtschaftssystem, bei dem man den Einkommensbeziehern die Freiheit gibt, durch Ausgabenzurückhaltung, also durch ein Unter-den-Verhältnissen-leben, für die Zukunft vorzusorgen.
Wer schließlich die Schulden in einer Volkswirtschaft macht, entscheidet sich auf vielfältige Art und Weise. Ob es die Unternehmen selbst sind, das Ausland oder der Staat, ist nicht ohne weiteres vorherzusagen. Sicher ist nur, dass der Staat, weil er die Verantwortung für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung hat, nicht so tun darf, als ob ihn die „Lösung“, die das System findet, nichts angeht. Genau das ist aber das Vorgehen all derer, die so tun, als sei der Staat mit einem privaten Haushalt vergleichbar. Das ist Unsinn. Wenn der Staat seiner gesamtwirtschaftlichen Verantwortung als Schuldner der letzten Instanz nicht gerecht wird, kann das beste marktwirtschaftliche System nicht funktionieren. Es ist ein Drama, dass die Unternehmen und ihre Verbände das nicht kapieren.