Vor Kurzem hat das Statistische Bundesamt Zahlen zu den absoluten Arbeitskosten in Europa für das gesamte Jahr 2024 veröffentlicht. Wie nicht anders zu erwarten und wie das Originalbild zeigt, gibt es immer noch eine enorme Streuung zwischen den Mitgliedsländern. Zwischen dem ärmsten Land Bulgarien und dem reichen Luxemburg liegen ganze 45 Euro Unterschied in den Arbeitskosten pro Stunde.
Deutschland liegt mit 43 Euro pro Stunde etwa gleichauf mit Frankreich, aber noch weit vor Italien mit nur knapp 31 Euro. Alle nach 1990 aufgenommenen Mitglieder der EU aus Mittel- und Osteuropa liegen weit unter dem Durchschnitt von gut 33 Euro, das für 2026 für die EWU neu als Mitglied ausersehene Bulgarien bildet das Schlusslicht mit nur 10,6 Euro.

Die Tatsache, dass Bulgarien als ärmstes Land gerade die Mitgliedschaft in der EWU erhalten hat, wirft immer wieder die Frage auf, ob der absolute Abstand in der EWU nicht so groß werden kann, dass neue Spannungen vergleichbar der Eurokrise auftreten können. Für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes sind allerdings nicht die Lohnkosten alleine entscheidend, sondern die Lohnkosten im Verhältnis zur Produktivität, die sogenannten Lohnstückkosten. Es kommt entscheidend darauf an, dass sich jedes Land, ganz gleich, von welchem Niveau aus es startet, sich mit der Entwicklung seiner Lohnkosten an der Entwicklung der nationalen Produktivität so orientiert, dass die Preise und die Inflationsrate nicht zu stark steigen.
Das Bundesamt hat in der obigen Veröffentlichung auch zur Veränderung der Löhne im Jahr 2024 im Vergleich zu 2023 einige Aussagen gemacht. Der Spiegel schrieb damals dazu: „Die Arbeitskosten stiegen 2024 in Deutschland um 5 Prozent, was recht genau dem EU-Durchschnitt entspricht. Deutlich stärker war der Anstieg in osteuropäischen Ländern, die wirtschaftlich aufholen, wie Polen (19 Prozent), Kroatien (14,2 Prozent) und Bulgarien (13,9 Prozent). Am geringsten fiel die Erhöhung in Tschechien mit 1,3 Prozent aus.“
Das sind erstaunliche Zahlen. Noch erstaunlicher aber ist die Kommentierung des Spiegel mit dem Hinweis „die wirtschaftlich aufholen“. Hat man jemals gehört, dass die Produktivität in Bulgarien zweistellig steigt, oder dass Kroatien und Polen Wachstumsraten weit jenseits der zehn Prozent aufweisen? Man holt als ärmeres Land wirtschaftlich nicht auf, wenn die Löhne steigen, man holt erst auf, wenn die Produktivität deutlich stärker als in den wohlhabenderen Ländern steigt. Steigen nur die Löhne, gibt es früher oder später ein gewaltiges Problem – besonders dann, wenn man keine eigene Währung mehr hat, die man gegenüber dem Euro abwerten kann.
Das dahinterliegende Problem unterstreicht eine neue Statistik von Eurostat zu den europäischen Arbeitskosten, die in dieser Woche erschien, allerdings kaum eine Resonanz in Deutschland gefunden hat. Auch im ersten Quartal dieses Jahres hat sich die extrem unterschiedliche Entwicklung der Lohnkosten fortgesetzt, wie das Originalbild zeigt.

Die rumänischen Löhne steigen um 16 Prozent, die im EWU-Mitgliedsland Kroatien um über 13 und in Bulgarien um 13 Prozent. Mit Ausnahme der Slowakei beginnen die Zuwachsraten aller mittel- und osteuropäischen Länder bei acht Prozent. Da die Wachstumsraten in diesen Ländern zwischen null und etwa drei Prozent liegen, kann man davon ausgehen, dass die Produktivität in keinem Land mehr als zwei Prozent zulegt. Folglich verlieren alle diese Länder massiv an Wettbewerbsfähigkeit, wenn sie ihre Währungen nicht abwerten können. Wenn ein Land wie Bulgarien den Euro übernimmt, ist diese Konstellation von Löhnen, Preisen und Wachstum absolut tödlich. In allen Details sind die Probleme bei einer solchen Datenlage hier in einem Papier von 2023 beschrieben.
Aber auch innerhalb der Länder ergeben sich enorme Probleme, wenn die Löhne andauernd zweistellig steigen, die Preise aber bei weitem nicht mithalten. Die Inflationsraten in den meisten dieser Länder liegen zwar deutlich über dem Schnitt der EWU, aber bei weitem nicht im zweistelligen Bereich (hier nachzulesen). Folglich müssen die heimischen Unternehmen enorme Lohnkostenzuwächse verkraften, während der europäische Wettbewerb verhindert, dass sie die Lohnkosten überwälzen können. Auch das wird früher oder später zu enormen Problemen führen, weil die wenigen verbliebenen nationalen Unternehmen in diesen Ländern in immer größere wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten.
Die Tatsache, dass die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten einem Land wie Bulgarien ohne weiteres den Weg in die EWU öffnen, hat rein politische Gründe. Man versucht, das „Bollwerk“ EU und EWU zu stärken, um die Abgrenzung gegen den Osten noch weiter voranzutreiben. Doch das ist eine sehr kurzsichtige Politik. Man schwächt mit der Ignoranz gegenüber den wirtschaftlichen Problemen der mittel- und osteuropäischen Länder diese Länder und damit die gesamte Europäische Gemeinschaft. Am Ende wird die Europäische Währungsunion zerstört, weil sie für politische Zwecke missbraucht worden ist.