Es ist schon beeindruckend, mit anzusehen, mit welcher Unverfrorenheit hierzulande die bestehende „Ordnung“ des internationalen Handelssystems zur Verteidigung von Überschüssen im Außenhandel benutzt wird. Kein Tag vergeht, an dem nicht diverse „Ordnungspolitiker“ und Interessenvertreter dem deutschen Publikum vormachen wollen, die neue amerikanische Handelspolitik sei Protektionismus, reine Willkür und vollkommen irrational.
Heute schreibt etwa Roland Koch in einer Mitteilung der Ludwig-Erhard-Stiftung:
„Unsere ökonomische Welt erlebt Tage der Irrationalität, Tage der Verzweiflung – und hoffentlich zügig einen neuen Start für verlässliche internationale Zusammenarbeit. Aktuell ist der amerikanische Präsident Donald Trump tatsächlich die wichtigste Instanz der Weltwirtschaft. Da seine Zollpolitik keinen vorhersehbaren Regeln unterliegt, müssen alle ununterbrochen wachsam sein, um die ökonomischen Auswirkungen, die sie oft schon nicht vorhersehen konnten, wenigstens verkraftbar zu. EU-Präsidentin Ursula von der Leyen ist es gelungen – zu schwer tragbaren Preisen –, wenigstens Stabilität erhoffen zu können.
Wir alle sind immer wieder von den Entwicklungen überrascht, denn sie haben keine nachvollziehbare Logik. Eine entschlossene, möglicherweise egoistische Interessenwahrnehmung der USA könnte man zu verstehen versuchen. Aber die Annahme, dass diese neue Form des Handelskrieges dem Verursacher USA Vorteile verschafft, ist so wenig fundiert, dass man eben immer wieder nicht glauben will, dass ein Präsident dies seinem Land antut.“
Jamieson Greer, Handelsbeauftragter der USA, hat am 7. August in der in der New York Times die amerikanische Sichtweise noch einmal aufgeschrieben. Es lohnt, diese Sichtweise unvoreingenommen zur Kenntnis zu nehmen (meine Übersetzung):
„Das … Bretton-Woods-System endete … 1976, aber sein Erbe lebt weiter. Unsere derzeitige, namenlose Weltordnung, die von der Welthandelsorganisation dominiert wird und nominell darauf ausgerichtet ist, wirtschaftliche Effizienz zu erreichen und die Handelspolitik ihrer 166 Mitgliedsländer zu regulieren, ist unhaltbar und nicht nachhaltig. Die Vereinigten Staaten haben für dieses System mit dem Verlust von Arbeitsplätzen in der Industrie und wirtschaftlicher Sicherheit bezahlt, andere Länder waren nicht in der Lage, notwendige Reformen durchzuführen, und der größte Gewinner war China mit seinen staatlichen Unternehmen und Fünfjahresplänen. Es überrascht nicht, dass in den letzten zehn Jahren sowohl international als auch in den USA parteiübergreifend große Frustration über das Versagen des Systems, sich an die wesentlichen Interessen souveräner Nationen anzupassen, zu verzeichnen war.
Nun steht eine Reform bevor. Letzte Woche haben Präsident Trump und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, in seinem Resort in Turnberry an der schottischen Küste ein historisches Abkommen geschlossen – ein Abkommen, das fair und ausgewogen ist und sich an konkreten nationalen Interessen orientiert, anstatt an vagen Bestrebungen multilateraler Institutionen. Durch eine Kombination aus Zöllen und Vereinbarungen über den Zugang zu ausländischen Märkten und Investitionen haben die Vereinigten Staaten den Grundstein für eine neue globale Handelsordnung gelegt.
Das bisherige System lehnte Zölle als legitimes Instrument der öffentlichen Politik ab, was bedeutete, dass die Vereinigten Staaten den Zollschutz für wichtige Fertigungsbranchen und andere Sektoren opferten. In den letzten drei Jahrzehnten haben die Vereinigten Staaten die Barrieren für unseren Markt abgebaut, um einen massiven Zustrom ausländischer Waren, Dienstleistungen, Arbeitskräfte und Kapital zu ermöglichen. Gleichzeitig hielten andere Länder ihre Märkte für unsere Waren geschlossen und setzten eine Reihe von Maßnahmen ein – wie Subventionen, Lohndumping, laxe Arbeits- und Umweltstandards, regulatorische Verzerrungen und Währungsmanipulationen –, um ihre Exporte in die Vereinigten Staaten künstlich anzukurbeln. Dieser Ansatz machte die Vereinigten Staaten und eine Handvoll anderer Volkswirtschaften zu Konsumenten letzter Instanz für Länder, die eine Beggar-thy-Neighbor-Wirtschaftspolitik verfolgten.
Unsere Handelspartner waren in diesem Spiel sehr versiert, und die Eliten an der Wall Street und in Washington waren nur allzu gerne bereit, von der globalen Arbitrage zu profitieren, indem sie die Produktion ins Ausland verlagerten. Das Ergebnis? Der Großteil der weltweiten Produktion verlagerte sich in Länder wie China, Vietnam und Mexiko, wo Unternehmen schutzbedürftige Arbeitnehmer ausbeuten oder von umfangreichen staatlichen Subventionen profitieren konnten, während die Vereinigten Staaten das absolut höchste Handelsdefizit in der Geschichte der Welt aufbauten. Dies führte zu umfangreichen und gut dokumentiertenVerlusten an industrieller Kapazität und Arbeitsplätzen in den USA sowie zu einer Abhängigkeit von unseren Gegnern in kritischen Lieferketten.
Wir haben die wirtschaftlichen und nationalen Sicherheitsinteressen unseres Landes einem globalen Konsens auf niedrigstem Niveau untergeordnet. Dieser Ansatz schadete den amerikanischen Arbeitnehmern, ihren Familien und Gemeinden, indem er einen Fertigungssektor untergrub, der hochbezahlte Arbeitsplätze schafft, Innovationen fördert und Investitionen in der gesamten Wirtschaft ankurbelt.“
Wie ist das zu bewerten?
Natürlich missbraucht die amerikanische Administration unter Donald Trump das Instrument der Zölle für politische Zwecke, wie etwa im Falle Brasiliens, und sie macht sich damit unglaubwürdig. Dennoch ist der Kern des ökonomischen Arguments, nämlich, sich gegen unfaire Handelspraktiken zu wehren, absolut valide. Deutschland etwa hat unbestreitbar unfaire Mittel eingesetzt (wie etwa hier gezeigt), um anderen Ländern Marktanteile abzujagen und Überschüsse zu erzielen. Viele dieser Praktiken waren möglich, weil weder die Welthandelsorganisation noch die EU-Kommission ihrer Pflicht nachkamen, solche Praktiken zu unterbinden.
Falsch ist es jedoch, das System von Bretton Woods explizit oder implizit für die heutigen Verwerfungen des Welthandelssystems verantwortlich zu machen, wie das in der Trump-Administration – und auch bei Greer – häufig dargestellt wird.
Bretton Woods war von seinem entscheidenden Architekten, dem Briten John Maynard Keynes, so entworfen worden, dass gerade keine dauerhaften außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte möglich sein sollten. Erst mit dem Übergang zu einem System flexibler (marktbestimmter) Wechselkurse Anfang der 1970er Jahre wurden große Ungleichgewichte möglich, weil die Spekulation mit Währungen genau das verhinderte, was Bretton Woods auszeichnete: Den Ausgleich von Inflationsdifferenzen zwischen den Ländern durch systematische Auf- und Abwertungen der Währungen. Große Veränderungen der Wettbewerbsfähigkeit von Ländern (nicht von Unternehmen) waren dadurch ausgeschlossen.
Eine EU, die sich seit der Jahrhundertwende explizit auf „Wettbewerbsfähigkeit“ kapriziert hat, ist natürlicherweise einer der Hauptgegner der Trump-Administration. Begreift man das in Brüssel und Berlin nicht bald, wird man noch viel größeren Schaden anrichten. Der europäische Merkantilismus muss schnellstmöglich überwunden werden.