Energiewende in einer freien oder einer gelenkten Marktwirtschaft?

Ein Gastkommentar zu Elmar Strackes Beitrag „In der Strombäckerei – wie die Merit-Order entsteht“ 
von Rainer Land[1]

Elmar Stracke beschreibt korrekt, wie der Strommarkt den Strompreis bildet. Dabei wird der Preis des jeweils teuersten zur Deckung der Nachfrage noch benötigten Anbieters wirksam und die Anbieter mit geringeren Kosten realisieren überdurchschnittliche Renditen, leistungslose Einkommen. Dieses Modell ist unter dem Begriff der Differenzialrente in der Wirtschaftswissenschaft lange bekannt. Relevante Theoretische Vordenker waren bekanntlich Adam Smith, David Ricardo und Karl Marx, aber auch Schumpeter, Sraffa und viele andere Ökonomen haben sich mit dem Thema beschäftigt. Ebenso lange währt die Diskussion um die Auswirkungen, insbesondere in der Landwirtschaft, wo unterschiedliche Fruchtbarkeit von Böden bzw. unterschiedliche Lagen und Entfernungen dazu führen, dass die Grundeigentümer differente Pachten bzw. Grundstückspreise realisieren können und landwirtschaftliche Produkte auf den Märkten nicht zu den durchschnittlichen Produktionskosten plus durchschnittlicher Rendite gehandelt werden, sondern zu viel höheren Preisen. Gleiches gilt bekanntlich im Bergbau und – wie ich aus eigener Erfahrung als Vorstand einer Bioenergiedörfer-Genossenschaft erfahren musste – für die Pachten für die Standplätze von Windkraftanlagen in Windparks. 

Stracke fragt: „Wie kann es sein, dass das teuerste Kraftwerk den Strompreis bestimmt? Müsste nicht der billigste Anbieterden Preis bestimmen? Ist das eine politische Vorgabe? Wer hat sich das ausgedacht?“ Und er kommt zu der Schlussfolgerung: „Mengenmarkt und Merit-Order sind keine bewussten politischen Entscheidungen, sondern folgen aus den Eigenschaften von Strom und unserem gesellschaftlichen Umgang damit. Dass Strom ein homogenes Gut ist, ist also keine politische Entscheidung … Die Merit-Order ist eine Beschreibung eines funktionierenden, effizienten Mengenmarktes. Sie beschreibt, sie schreibt nicht vor. Wenn sie in einem Gesetz festgeschrieben ist, dann nicht im Energiewirtschaftsgesetz, sondern in den Gesetzen der BWL.“

Allerdings muss man bedenken, dass Märkte immer in gesellschaftlich gesetzte Regelsysteme eingebettet sind und nicht immer entsprechen die sich auf Märkten mehr oder weniger automatisch einstellenden Preis- und Mengenbewegungen wirklich den optimalen Reproduktionsbedingungen des Wirtschaftssystems, den Gemeinwohlinteressen oder auch nur dem Interessenausgleich der verschiedenen Akteure. Deshalb braucht man ja Regulierungen. Nicht zuletzt Heiner Flassbeck wird nicht müde, uns seit Jahrzehnten zu erklären, dass der Arbeitsmarkt kein Kartoffelmarkt ist und die Löhne nicht vom Markt nach der Preisforderung des letzten noch notwendigen Arbeiters auf minimalem Niveau bestimmt werden dürfen. Das würde nicht nur zur Verelendung eines großen Teils der Arbeiter führen, sondern wie Keynes eindrucksvoll gezeigt hat, zu volkswirtschaftlichen Krisen und Depressionen. Die Löhne müssen steigen im Maße der volkswirtschaftlichen Durchschnitts-Produktivität (plus der Zielinflationsrate) – also unabhängig von einer „Merit-Order“ für Löhne, also den Reproduktionskosten des billigsten oder auch des teuersten Anbieters von Arbeit.

Kann man daraus etwas lernen für die Gestaltung des Strommarktes und anderer Märkte für Ressourcen, die nicht beliebig erweitert werden können (Naturressourcen wie Bodenschätze, Senken für Abgase, Abwässer, Müll, Standplätze für Windräder oder eben auch Acker- und Waldflächen, Fangquoten für Fische usw.)?

Überlässt man die Preisbildung „freien“, sprich unregulierten Märkten hat man problematische Effekte. Erstens bildet sich ein Preis, der deutlich über den durchschnittlichen Reproduktionskosten des betreffenden Gutes liegt. Die Nutzer zahlen einen Tribut an den Privateigentümer der betreffenden Ressource, in dem Fall den Grundeigentümer, den Eigentümer des Ackers des Waldes, des Standplatzes des Windrads oder der Deponierechte für Abprodukte. Wir haben es mit Preisen zu tun, die nicht den durchschnittlichen Reproduktionskosten entsprechen und daher nicht zu der effektivste Ressourcenallokation führen.

Zweitens ist das Einkommen der Ressourcenbesitzer leistungslos. Im Unterschied zu Schumpeters Innovationsgewinn, der dadurch zustande kommt, dass ein Unternehmer mit einem neuen Produkt oder einem neuen Verfahren auf dem Markt temporär überdurchschnittliche Erträge erzielt (bzw. unterdurchschnittliche Kosten hat), Extraprofite, die durch eine innovative Leistung zustande kommen und die mit der Verallgemeinerung der Innovation wieder verschwinden. Innovative Unternehmer generieren im Erfolgsfall Vorteile für die Volkswirtschaft (Produktivitätssteigerungen) und „verdienen“ so den Extraprofit. Umgekehrt verlieren sie ihren Kapitalvorschuss, wenn ihr Innovationsversuch keinen Erfolg hat. Anders bei Differenzialrenten. Sie entstehen durch Monopole, im beschriebenen Fall durch die Monopolisierung von Eigentum an Naturressourcen, von Gütern, die nicht beliebig oder nicht kurzfristig vermehrt werden können. Drittens bewirkt die beschriebene Fehlallokation, dass es zu nicht optimalen wirtschaftlichen Entwicklungsrichtungen kommt. Darauf komme ich gleich zurück. 

Wäre die Stromproduktion von Naturressourcen und öffentlichen Gütern (wie Stromtrassen, Lizenzen, wissenschaftlichen Erkenntnissen etc.) unabhängig und würde ein Markt mehr oder weniger augenblicklich zu Mengenanpassungen führen, so käme es nicht zu der beschriebenen Merit-Order. Das wäre so in dem von Stracke als Modell herangezogenen Brotmarkt – jedenfalls wenn nicht unterstellt wird, dass die Herstellung von Brot monopolisiert sei – oder eine der dafür benötigten Ressourcen nicht vermehrt werden könnte. In einem Markt, in dem die Mengenanlassung nicht behindert wird und kurzfristig (in den neoklassischen Modellen augenblicklich) erfolgt, würde folgendes passieren:

Der billigste Stromanbieter (derzeit Wind und PV-Strom) würde sofort seine Produktion ausdehnen und flexibel (stündlich, minütlich, sekündlich) dem jeweiligen Bedarf anpassen. Infolgedessen würden Gas-, Atom- und Kohlekraftwerke augenblicklich aus dem Mark fliegen, für immer Pleite gehen und alle kämen in den Genuss des kostengünstigsten Strompreises von mittlerweile unter 10 ct/kWh. 

Dass das nicht augenblicklich geschieht, liegt natürlich erst mal daran, dass Wirtschaft ein Verfahren ist, das Zeit braucht, weshalb wirtschaftliche Entwicklung nach Schumpeter in Zyklen verlaufen muss. Die neoklassische Markttheorie aber kenn keine wirtschaftliche Entwicklung und daher keine in der Zeit verlaufenden Veränderungen: neue Produkte und Verfahren kommen in den Markt und alte werden rausgeworfen. In den Modellen der Neoklassik gibt es nur Proportionsverschiebungen, bestenfalls quantitatives Wachstum, keine Entwicklung und eigentlich auch keine Zeit. Tatsächlich müssen die Windräder und die PV Anlagen erst mal erfunden und gebaut werden, ebenso die dafür benötigten Stromnetze und Speicher, bevor man Kohl, Gas und Atomkraft abschalten kann. Das dauert. Allerdings hatten wir mindestens 20 Jahre Zeit und haben zu wenig getan. Aber gut, auch die wissenschaftliche Forschung und Entwicklung, die Einsicht, dass Windkraft die gesellschaftlich kostengünstigste Lösung ist, und der gesellschaftliche Konsens zur Akzeptanz dieser Anlagen sind noch nicht gegeben. Der überhöhte Strompreis ist also auch so etwas wie eine Strafe für mangelnde Einsicht und fehlende Effektivität bei der Reorganisation des Wirtschaftssystems. Allerdings ist schwer einsehbar, warum die Allgemeinheit und alle Einzelnen diesen Tribut zahlen, aber einige wenige, die Monopolisten der ineffektiven Ressourcen der Energieproduktion, diese Renditen als leistungsloses Extraeinkommen einstreichen sollen. 

Dagegen wird ein anscheinend wohlfeiles Rezept gehandelt: Übergewinnsteuer. Und finanzielle Zuschüsse an die ärmeren privaten Haushalte (und ggf. auch an energieintensive Unternehmen). Gegen diese Instrumente ist an sich nichts zu sagen, wenn sie temporär genutzt werden, um eine Krise durchzustehen oder einen Strukturwandel wie die Energiewende zu bewältigen (Beispiel EEG[2]). Faktisch gab und gibt es solche Regeln schon lange (Beispiel Kohlepfennig[3]) – und es wäre eine Illusion zu glauben, dass ein Marktwirtschaftssystem ganz ohne solche umverteilenden Preiskorrekturen auskommen kann. Trotzdem sollten die Preise tendenziell den Reproduktionskosten entsprechen und dazu führen, dass die effektivsten Technologien und Ressourcen sich durchsetzen und teure, umweltschädliche und ineffiziente Verfahren und Ressourcen aus dem Markt gedrängt werden, also nicht durch die besondere Stellung ihrer Eigentümer am Markt gehalten werden können. Die Besitzer von Kohle, Gas, Erdöl können Innovationen verhindern, indem sie den Ausbau kostengünstiger Energieerzeuger behindern, die Verbraucher mit ihrer Monopolmacht erpressen und politisch auf die Festsetzung von Regeln für die Nutzung der Netze oder für den Eigenverbrauch Einfluss nehmen. (Über die Behinderung des Eigenverbrauchs von selbst erzeugtem Strom bei dezentralen Energieerzeugern könnte ich ein trauriges Lied singen.)

Fehlallokationen bedeutet, dass unter den gegebenen Bedingungen eben nicht die effektivste Entwicklungsrichtung eingeschlagen wird. Wie Stracke richtig erkennt, wären die überdurchschnittlichen Renditen der kostengünstigsten Stromerzeuger der Anreiz, hier schnell zu investieren und Kohle, Atomstrom und nun auch aus Erdgas erzeugten Strom aus dem Markt zu drängen. Also müssten Windräder und PV Anlagen wie Pilze nach warmen Regen aus dem Boden schießen. Das tun sie aber nicht. Warum, wenn man da so hohe Renditen machen kann? Erstens weil der Zugang zu diesen Ressourcen nicht frei ist – und zwar zu Recht. Grund und Boden ist ein knappes, letztlich nicht vermehrbares Gut und es ist richtig, dass die Gemeinschaft über Bodennutzungsregeln bestimmt, wo was gebaut werden darf und wo nicht. An sich ist Grund und Boden öffentliches Gut und die Gemeinschaft müsste diskursiv entscheiden, wer was wofür nutzen darf. Insbesondere sollte gelten, dass Grund und Boden kein Spekulationsobjekt sein darf, d.h. Besitz immer mit Nutzung verbunden sein muss. 

Der Missbrauch von Bebauungsplänen durch bestimmte Interessensgruppen ist keine Bagatelle. In Mecklenburg konnte ich erleben, wie der Aufbau von Wind- und Solarparks verzögert oder verhindert wurde, weil die Bevölkerung der umliegenden Dörfer sagte: da verdienen die Reichen sich eine goldene Nase und wir leben von Hartz 4? Nein, da machen wir nicht mehr mit. Ohne öffentliche Teilhabe keine Zustimmung.

Zum anderen ist es nicht oder nur sehr eingeschränkt so, dass die Erbauer oder Betreiber der Windparks die überdurchschnittlichen Renditen einstreichen und dann investieren können, die durch die unterdurchschnittlichen Kosten dieser Stromerzeugungsarten entstehen. Den Hauptteil der Gewinne streichen die Privateigentümer der Grundstücke ein. Denn diese sind die eigentlich knappen Ressourcen. Wenn ein Windparkerbauer einen Windpark errichten will, muss er an einer geeigneten Stelle (Wind, Naturschutz, urbane Umgebung) mit den Eigentümern des Grund- und Bodens verhandeln und Pachtverträge für Standorte und Zugangswege abschließen. Dabei gibt es nur wenig Konkurrenz zwischen den Eigentümern der Grundstücke, da diese nicht verschoben werden können. Der potenzielle Windparkerbauer (-investor) kann nur in seltenen Fällen auf einen anderen Stellplatz nebenan ausweichen. 

Die Grundeigentümer haben daher ein weitreichendes Monopol. Sie können ihre Preisforderungen hochtreiben – und zwar in einem Marktmodell so hoch, dass fast die gesamte überdurchschnittliche Rendite in die Pacht für die Grundeigentümer fließt. Der potenzielle Windpark-Investor hat eine theoretische Grenze: er muss für eine Investition eine Kapitalmarktrendite plus einen Unternehmerlohn und einen Risikoaufschlag realisieren. Alles, was darüber hinausgeht kann und muss er unter Wettbewerbsbedingungen den Grundeigentümern anbieten, weil diese sonst ihre Flächen einem anderen Windpark-Investor anbieten werden. Ich habe dieses Pokerspiel selbst erlebt und unsere Pläne zur Errichtung von Bürgerwindparkt in Mecklenburg sind regelmäßig daran gescheitert, dass die Grundeigentümer sich Investoren mit höheren Pachtangeboten suchten – und das waren nicht die kommunalen oder genossenschaftlichen Investoren. Erfolgreiche Bürgerwindparks gibt es meist nur, wenn die Bürger oder die Gemeinden selbst die Grundeigentümer sind – deshalb häufig und Schleswig-Holstein und selten und Mecklenburg und Vorpommern, wo der Großgrundbesitz historisch dominierte. Wenn aber fast die gesamte Rendite an die Grundeigentümer fließt und für den Investor – in unserem Fall eine Gemeinde oder eine Genossenschaft von Bürgern der Region – am Ende nur der Durchschnittszins einer Kapitalanlage als Ertrag erwartet werden kann, dann lohnt sich diese Investition nicht. Ein Festgeldkonto brächte nicht weniger und wäre wahrscheinlich sicherer.

Es ist also durchaus nicht so, dass die Merit-Order die effektivsten Investitionen fördert. Es hängt von den Eigentumsverhältnissen und den gesellschaftlich gesetzten Regularien ab, welche Entwicklungen effizient sind und welche nicht.

Heute ist es so, dass Investitionen in Wind- und Solarparks eigentlich die höchsten Renditen abwerfen und daher eigentlich auch das höchste Wachstum haben sollten. Scheinbar regelt ein freier Energiemarkt also richtig – wenn nicht die privaten Grundeigentümer oder schlechte politische Regeln im Wege stünden. 

Aber das ist Zufall. Vor 30 Jahren waren Investitionen in Wind- und Solarparkt finanziell nicht rentabel. Damals hätte man sie aus wirtschaftlicher Sicht nicht tätigen dürfen, sondern Marktsignalen folgend kräftig in Braunkohle investieren sollen. Nun kann es aber sein, dass die Gesellschaft diskursiv entscheidet, dass die CO2-Emissionen reduziert und Kohlkraftwerke daher schrittweise geschlossen werden sollen. Ökonomen versuchen dann gern, das in das Marktmodell zu integrieren, indem sie die künftigen Kosten der Schäden durch den Klimawandel in die heutigen Kosten des Kohlestroms einrechnen wollen. Nur ist das eine Milchmädchenrechnung, theoretisch interessant, aber praktisch irrelevant. Denn ein Markt ist eine Veranstaltung unter Lebenden. Die künftigen Generationen treten weder als Anbieten noch als Nachfrager auf dem Markt in Erscheinung. Die Entscheidung, im Interesse der künftigen Generationen eine Sonderabgabe für CO2-Emissionen auf Kohlekraftwerke zu erheben, ist eine politischeRegulationsentscheidung, kein Marktergebnis. Vorausgesetzt ist ein diskursiver Prozess unter heute politisch agierenden Interessenten über das, was man politisch will oder nicht will. Und darauffolgend eine entsprechende juristische Setzung von Regeln für den Markt. 

Solange Kohle billiger war, konnte die Investitionen in Wind- und Solarenergie nur vorankommen, weil man subventioniert und entsprechende Regeln gesetzt hat – z.B. das EEG. Zudem ging die Mehrheit der Experten damals davon aus, das Wind- und Solarstrom niemals billiger werden kann als Kohlestrom und man diese dauerhaft subventionieren müsse (so auch Frau Merkel als Umweltministerin) – oder ganz davon absehen sollte. Es ist eben nicht möglich, den technischen Fortschritt der Zukunft treffend vorherzusagen. Innovationen sind Fundsachen und erst in der Anwendung wird positiv oder negativ selektiert. Das Wind- und Solarstrom so bald billiger werden könnte als Strom aus Kohle, Atomkraft und Gas ist erst das Ergebnis der Durchsetzung und Verbreitung von Innovationen, die zu Kostensenkungen für neue Technologien führen. 

Anders gesagt: Marktregeln, temporäre Subvention von Investitionen oder auch das Verbot oder die Extra-Besteuerung ungewollter Technologien und Produkte (wie seinerzeit das Verbot von FCKW oder die Besteuerung von Kfz mit hohen Emissionen) setzen diskursive gesellschaftliche Willensbildung voraus und darauf aufbauende rechtliche Regeln und administrative Instrumente. Nur so können effizient funktionierende Märkte gesellschaftlich gewollte Entwicklungsrichtungen ansteuern. Dass freie Märkte das könnten, ist eine Illusion. Freie Märkte können nur Proportionen in strukturell gegebenen Systemen ausgleichen, nicht aber neue Entwicklungen generieren. Allerdings setzen Diskurse über gewollte oder ungewollte Entwicklungen korrekte Preise, also funktionierende Märkte voraus. 

Für den Energiemarkt bedeutet das: wir brauchen eine Debatte darüber, was volkswirtschaftlich notwendig und gesellschaftlich gewollt ist und welches Design des Energiemarktes zweckmäßig ist, um diese gewollte Entwicklung zu stützen. Das nenne ich eine regulierte und gelenkte Marktwirtschaft. Sie setzt allerdings autonome Unternehmen und eine an den Reproduktionskosten orientierte Preisbildung voraus, wie sie Sraffa beschrieben hat. Eine Planwirtschaft mit zentraler Ressourcenallokation ist dafür ungeeignet, ebenso wenig aber eine von Partikularinteressen bestimmter Eigentümergruppen dominierte Marktordnung oder ein voluntaristisches Sammelsurium kurzfristiger Regeln, Umlagen, Umverteilungen, Markteingriffe usw.

Bei der Gestaltung der Energiewende stehen drei zentrale Entwicklungen im Mittelpunkt: Erstens der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energieerzeugung, vor allem der Wind- und der Solarenergie, zunehmend als Repowering. In anderen Regionen sollte es auch um Wasserkraft gehen, die für Deutschland leider keine Option ist. Zweitens der beschleunigte Ausbau der Energienetze, vor allem des Stromnetzes, angepasst auf die künftig dominierenden Energiearten und Verbrauchsstrukturen, aber auch des Gasnetztes, vor allem für Wasserstoff. Dabei geht es um europäische und internationale Strukturen. Drittens der dramatisch zu beschleunigende Ausbau von Energiespeicher. Kleine Batteriespeicher überall dort, wo kleine Solaranlagen auf Gebäuden errichtet wurden oder werden. Power to Heat und Power to Gas-Anlagen um mittel- und langfristige Speicher zu schaffen, die die Überschüsse aus Wind- und Solarstrom für Zeiten mit Defiziten, insbesondere den Winter, aufbewahren. Umbau der Gasspeicher und der Gasnetzes für Grünes Gas aus erneuerbaren Quellen. Für die Erzeugung grünen Gases sollten regionale und internationale Lösungen kombiniert werden. 

Ich sehe hier ab von anderen ebenso wichtigen Komponenten des ökologischen Umbaus, wie dem Umbau des Verkehrssystems, dem Stoffstrommanagement, den Wasserkreisläufen, der Regeneration der Böden und der Rettung der Biodiversität. Diese Komponenten müssen zusammen mit der Energiewende gestaltet und umgestaltet werden.

Eine vernünftig regulierte Marktwirtschaft benötigt einen gesellschaftlichen Grundkonsens über gewollte und ungewollte Entwicklungsrichtungen, geteilte (gemeinsame) Ziele der verschiedenen (und auch gegensätzlichen) Interessengruppen und staatliche Instrumente zur Umsetzung dieser Ziele, wie Kreditlenkung, Infrastrukturinvestitionen, Wissenschaft, Bildung und auch Steuern und Subventionen, um neue Entwicklungsrichtungen zu suchen und durchzusetzen bzw. Fehlentwicklungen abzublocken oder zu beschränken. Über die Entwicklungsrichtungen eines Wirtschaftssystems kann nicht der Markt entscheiden – und auch nicht die Politik für sich (als Subsystem). Entscheiden muss die Zivilgesellschaft, und zwar ein einem diskursiven Verfahren. Dessen Ergebnisse muss die Politik dann durch zweckmäßige Instrumente der Lenkung von Märkten umsetzen. Die Merit-Order der Energiemärkte ist kein geeignetes Instrument zur Gestaltung der Energiewende.

Die Frage, die jetzt und möglichst schnell zu entscheiden wäre: wie müsste eine neues Energiemarktdesign aussehen, das diese Entwicklungen ermöglicht und fördert und die zerstörerischen Tendenzen, die zu einer Klimakatstrophe führen werden, möglichst bald unterbindet. Dazu mehr in einem weiteren Beitrag.

Literatur

Fessler, Fritz (2022): Was tun gegen die hohen Strompreise?. In Makroskop vom 21.9.2022

Fischbach, Rainer Fischbach (2019): Für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. [Ein Investitionsplan zum Umbau des Verkehrssystems]. In Makroskop vom 08.02.2019 und 12.3.2019

Gerhards, C.; Weber, U.; Klafka, P.; Golla, S.; Hagedorn, G.; et al. (2021). Klimaverträgliche Energieversorgung für Deutschland – 16 Orientierungspunkte (Version 1.0, Deutsch). Diskussionsbeiträge der Scientists for Future, 7, 55 pp. doi: 10.5281/zenodo.4409334. https://www.derstandard.de/story/2000138406762/wie-der-strompreis-entsteht-und-was-sich-ammerit-order-system

Konzeptwerk neue Ökonomie (2022): Energie-Grundversorgung sichern und Luxusverbrauch beschränken. Attac unterstützt Dossier des Konzeptwerks Neue Ökonomie. 07. September 2022. https://konzeptwerk-neue-oekonomie.org/wp-content/uploads/2022/09/Dossier_Energietarife_KNOE_2022.pdf

Land, Rainer (2019): Ökokapital. Bedingungen der Möglichkeit eines neuen Regimes wirtschaftlicher Entwicklung. Ein systemtheoretischer Bauplan. Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (e.V.). https://www.rla-texte.de/?page_id=61

Neuhoff, Karsten; Longmuir, Maximilian; Kröger, Mats; Schütze, Franziska (2022): Hohe Gaspreisanstiege: Entlastungen notwendig. In DIW Wochenbericht 36/2022.

Simon, Ulrike (2021): EuGH-Urteil: Klimaschutz als Wettbewerb. In Makroskop vom 13.09.2021. 

Sraffa, Piero (1976): Warenproduktion mittels Waren: Einleitung zu einer Kritik der ökonomischen Theorie, Frankfurt am Main: Suhrkamp

Stracke, Elmar (2022): In der Strombäckerei – wie die Merit-Order entsteht. In Relevante Ökonomie, Heiner Flassbeck, http://www.relevante-oekonomik.com/2022/10/17/in-der-strombaeckerei-wie-die-merit-order-entsteht/ Stracke, Elmar (2022): In der Strombäckerei – wie die Merit-Order entsteht. In Relevante Ökonomie, Heiner Flassbeck, http://www.relevante-oekonomik.com/2022/10/17/in-der-strombaeckerei-wie-die-merit-order-entsteht/

Strobl, Günther (2022): Wie der Strompreis entsteht – und was sich am Merit-Order-Prinzip ändern könnte. 

Thielemann, Ulrich (2022): Für marktkonforme Instrumente ist es zu spät. In Makroskop vom  13.9.2022

Vontobel, Werner (2022): Grundbesitz untergräbt Demokratie und Marktwirtschaft. In Makroskop 6.9.2022


Anmerkungen

[1] Rainer Land (geb. 1952), studierte Philosophie und Wirtschaftswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (DDR). Er arbeitete von 1992 bis 2000 als Redakteur der Zeitschrift „Berliner Debatte Initial“, danach als Mitarbeiter am Thünen-Institut für Regionalentwicklung e.V. und als Vorstand einer Bioenergiedörfer e.G. in Mecklenburg. Seit 2017 ist er Rentner und publiziert u.a. zur wirtschaftlichen Entwicklung in China. Texte unter www.rla-texte.de


[1]       https://de.wikipedia.org/wiki/Erneuerbare-Energien-Gesetz#Erneuerbare-Energien-Gesetz_(2023)

[2]       https://de.wikipedia.org/wiki/Kohlepfennig