China ist groß, Deutschland ist klein

Wer mit absoluten Zahlen hantiert, muss immer vorsichtig sein. Gerade wird landauf landab gemeldet, dass der chinesische Handelsbilanzüberschuss mit 1000 Milliarden Dollar einen Rekord aufgestellt hat. Vielen Medien ist das eine große Meldung wert (hier und hier) und der französische Präsident Macron erklärt den Chinesen bei einem Besuch in China, dass ihr Handelsbilanzüberschuss nicht tragbar sei und droht ihnen mit europäischen Handelsbeschränkungen.

1000 Milliarden US-Dollar, das klingt wirklich nach viel. Aber wie groß ist das chinesische Bruttoinlandsprodukt? 2025 dürfte es etwa 19 200 Milliarden US-Dollar betragen (wenn man den Wert von 2024 mit 5 Prozent Zuwachs fortschreibt, Inflation gibt es praktisch nicht). Folglich liegt der Handelsbilanzüberschuss (ich spreche hier mal ausnahmsweise nicht von der Leistungsbilanz) bei etwa 5,2 Prozent des chinesischen BIP. Das ist nicht wenig.

Doch wie ist es mit Frankreichs Lieblingsnachbarland? Deutschland wies im vergangenen Jahr ein BIP von etwa 4500 Milliarden US-Dollar auf. Mit zwei Prozent Inflation fortgeschrieben, ergibt das etwa 4600 in diesem Jahr, ein reales Wachstum wird es nicht geben. Der deutsche Handelsbilanzüberschuss betrug 2024 etwa 230 Milliarden € und folglich etwa 260 Milliarden US-$, das waren fast 5,8 Prozent. 

In diesem Jahr wird der deutsche Überschuss vermutlich etwas geringer sein, weil der Export in die USA aufgrund der Trumpschen Politik sinkt; ich schätze, es werden aber noch 220 Milliarden Dollar sein. 220 Milliarden US-Dollar wären 4,8 Prozent vom BIP. Das ist ein wenig unterhalb der chinesischen Zahl, aber immer noch sehr hoch. Es ist eine Zahl, die mindestens so kritikwürdig ist wie die chinesische, weil es auf Stellen hinter dem Komma angesichts der Unsicherheiten bei den verwendeten Zahlen hier wirklich nicht ankommt.

Warum hat Macron nichts zu Deutschland gesagt? Wen oder was will er beklagen, wenn es in der europäischen Währungsunion und im europäischen Binnenmarkt möglich ist, dass ein großes und einige kleine nördliche Länder sich ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile verschaffen und über Jahrzehnte hohe Leistungs- und Handelsbilanzüberschüsse aufweisen? In der Europäischen Währungsunion gibt es auf dem Papier strenge Regularien, die verhindern sollen, dass einzelne Länder dauerhaft hohe Leistungsbilanzüberschüsse aufweisen. Warum unternimmt Macron nichts, um dafür zu sorgen, dass diese Regeln umgesetzt werden?

Es wird zurzeit auch in Deutschland viel über den Binnenmarkt geredet, weil man sich in der Verzweiflung über die schlechte Wirtschaftslage einbildet, man könne dadurch, dass man beispielsweise für Bäcker einheitliche europäische Regeln schafft, das Wachstum ankurbeln. Doch den ungeheuren Ballast, den der sogenannte Binnenmarkt mit sich herumschleppt, seit Deutschland die Währungsunion schamlos ausgenutzt hat, um sich mit Lohndumping riesige absolute Vorteile zu verschaffen, den erwähnt niemand. 

Im Anhang dieses Papiers (Titel: Feste Wechselkurse und feste Versprechen) wird ausführlich erklärt, warum das deutsche Lohndumping, das unter Rot-Grün zu Anfang des Jahrhunderts praktiziert wurde, ein so eklatanter Verstoß gegen die Vernunft und gegen den Anstand in einer Währungsunion ist, in der es zudem einen funktionierenden Binnenmarkt geben soll. 

Hier die ersten Absätze aus dem Anhang:

„Weil der Zusammenhang zwischen den deutschen Überschüssen in der Leistungsbilanz und den Problemen in der Europäischen Währungsunion immer noch so wenig verstanden wird, wollen wir einmal versuchen, diese Frage noch ein wenig grundsätzlicher anzugehen, als wir es sonst vielleicht tun. Es gab eine Zeit, wo man in der Volkswirtschaftslehre solche einfachen Zusammenhänge selbstverständlich kannte und respektierte, aber das ist in den Wirren der Modellschreinerei und dem Methodenwahn an den Universitäten, wie vieles andere auch, offenbar einfach untergegangen.

Was man kaum bestreiten kann, ist die Tatsache, dass sich der Gedanke des Wettbewerbs normalerweise auf den Wettbewerb zwischen Unternehmen bezieht. Da gehört er auch hin. Unternehmen sollen sich im Wettbewerb bewähren, und das beste Unternehmen soll sich unter sonst gleichen Bedingungen (wozu gleicher Lohn für gleiche Arbeit an erster Stelle gehört!) über Anstrengungen zur Verbesserung der Produktivität in den Produktionsverfahren oder der produzierten Güter und Dienstleistungen durchsetzen und erfolgreich sein dürfen. 

Wenn ein ganzes Land Wettbewerbsvorteile gegenüber einem anderen Land hat aus Gründen, die nichts mit dem einzelnen Unternehmen zu tun haben, aber allen Unternehmen des einen Landes zugute kommen, ist das in jedem Fall problematisch. Dann ist nämlich der Wettbewerb der Unternehmen zwischen beiden Ländern verzerrt Von welcher Art diese Vorteile sind, spielt dabei keine große Rolle. Ob das Land Importzölle erhebt, die Steuern für seine Unternehmen besonders stark senkt oder ob es seinen Unternehmen hohe Subventionen gibt, ob die Währung eines Landes unterbewertet ist oder ob die Politik des Landes in einem System fester Wechselkurse (oder einer Währungsunion) mit dafür gesorgt hat, dass die Löhne für alle Unternehmen weniger steigen (im Verhältnis zur Produktivität) als in den Ländern, mit denen man sich auf den festen Kurs geeinigt hat, immer entsteht ein Vorteil für alle Unternehmen des einen Landes, der die Unternehmen in den Partnerländer (ganz gleich, ob es dort im Wettbewerb eher starke oder schwache Unternehmen sind) systematisch schädigt.

Unbestritten war viele Jahrzehnte lang auch, dass sich die anderen Länder selbstverständlich gegen solche artifiziellen Vorteile wehren und ihre Unternehmen vor den damit verbundenen Nachteilen schützen dürfen. Also ist es erlaubt, (auch entsprechend der Regeln der Welthandelsorganisation) eigene Zölle einzuführen, die eigene Währung abzuwerten oder ein Dumping-Verfahren gegen solche Länder anzustrengen, die ihre heimischen Unternehmen stützen. Auch politischer Druck auf die eigenen Löhne zur Kompensation des ausländischen Lohnvorteils in Systemen fester Wechselkurse ist eine Möglichkeit. Am einfachsten war in der Vergangenheit häufig das Mittel der Abwertung. Geriet ein Land in eine Zahlungsbilanzkrise, also in die Gefahr, dass man die eigenen Importe nicht mehr finanzieren kann, ohne große Zinsaufschläge am Kapitalmarkt zu bezahlen, wurde sowohl bei flexiblen als auch bei anpassungsfähigen Wechselkursen (wie etwa im System von Bretton Woods oder im Europäischen Währungssystem EWS) üblicherweise die Lösung in einer Abwertung gesucht. Diese senkte die Importe, stärkte die eigenen Exporte und verringerte auf diese Weise die Abhängigkeit vom Kapitalmarkt.

Feste Wechselkurse sind sozusagen das Versprechen der Handelspartner, den anderen nicht auf die eine oder andere Weise zu unterbieten, so dass das Ziehen der Option Wechselkursänderung notwendig wäre. Je stärker die Bindung der Wechselkurse, umso fester muss natürlich das Versprechen des Nicht-Unterbietens durch die Handelspartner sein, damit das System halten kann. Deutschland hat in der Europäischen Währungsunion die merkantilistische Form des Unterbietens gewählt, nämlich durch eigenes Gürtel-enger-Schnallen (vgl. eine Analyse zum Merkantilismus hier). Damit ist das Versprechen, das der Vereinbarung, eine Währungsunion einzugehen, zugrunde liegt, gebrochen. Bei vernünftig konstruierten Verträgen müssten sich die Handelspartner daher auch nicht mehr an das Freihandelsgebot halten, könnten stattdessen gegenüber Deutschland Importzölle zur Kompensation des deutschen Dumpings einführen.“