China, die gefährliche Macht? 

China und seine wirtschaftlichen Erfolge sind in aller Munde. Deutschland hat schon unter der vorherigen Regierung (und auf Druck der USA) China zum „systemischen Rivalen“ ernannt, was immer das konkret heißen mag. Es heißt auf jeden Fall, dass man keine normalen freundschaftlichen Beziehungen zu dem Land pflegen will. Seit in den 1960er Jahren ein schwäbischer Bundeskanzler mit den Worten: „Ich sage nur China China China“ vor der „gelben Gefahr“ warnte, sind eigentlich einige Jahre ins Land gegangen. Man hätte lernen können, dass China weit weniger gefährlich ist als es uns, die wir in der Regel wenig bis nichts über die Geschichte, Sprache, Kultur und die Wirtschaft des Landes wissen, erscheint. 

In diesen Tagen kommen jedoch immer neue Befunde auf, die zeigen sollen, dass China zu einer wirklichen Bedrohung für die Weltwirtschaft wird. Die Financial Times etwa zeigt eine Graphik, wo China zum ersten Mal seit 2010 einen Überschuss gegenüber Deutschland im Handel mit Investitionsgütern aufweist. Das sieht sehr beeindruckend aus – und ist doch weitgehend normal. Brad Setser macht beim Council of Foreign Relations eine große Story auf, die darauf hinausläuft, dass der rasch steigende chinesische Handelsbilanzüberschuss ein weltweites Problem ist, doch auch das ist wenig überzeugend.

Das Bild in der Financial Times ist vor allem beeindruckend, als es zeigt, dass in all den Jahren seit 2010 Deutschland einen gewaltigen Überschuss im Handel mit China aufwies. Den haben in Deutschland wohl alle für ein normales Ergebnis der deutschen Überlegenheit gehalten. Nun ist er weg und im deutschen Untergrund grummelt es, dass es wohl nicht mit rechten Dingen zu gehen kann, wenn sich auf einmal die Chinesen erdreisten, uns auf unseren Spezialgebieten von den Weltmärkten verdrängen zu wollen.

Ich habe dabei déja-vue Erlebnisse, weil es schon einmal in Deutschland eine Phase gab, wo man panische Angst vor einem asiatischen Konkurrenten hatte, der sich aber im Laufe der Zeit als zahnloser Tiger erwies. Anfang der 1980er Jahre fuhr der damalige deutsche Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff nach Japan und kam mit dem Befund zurück, wir müssten alle herkömmlichen Vorstellungen von Wirtschaft über den Haufen werfen, weil die Japaner dabei seien, uns zu überrennen.

Eine chinesische Bedrohung?

Setser stützt sich zunächst auf eine Graphik, die zeigt, dass in Prozent des chinesischen BIP der Exportüberschuss bei verarbeitenden Produkten (manufacturing) heute deutlich größer als in den letzten Jahren ist. Daran kann kein Zweifel bestehen, aber mehr als erstaunlich ist dennoch, dass der Überschuss immer noch erheblich kleiner als zu Beginn des Jahrhunderts ist. Wir erinnern uns: Zu Beginn des Jahrhunderts waren es vor allem westliche Unternehmen, die in China superbillig produzierten und von dort in die ganze Welt exportierten. Weil man deutsche Hochtechnologie mit niedrigen chinesischen Löhnen kombinierte, konnte man unglaublich günstig verkaufen und zudem hohe Gewinne einstreichen. Darüber hat sich niemand aufgeregt, weil es die „guten“ westlichen Pionierunternehmen in China waren, die davon profitierten. 

Wenn China jetzt wieder einen steigenden Handelsüberschuss aufweist, wird der natürlich (und selbstverständlich) nicht mehr von so vielen westlichen Unternehmen getragen wie damals. Und nun, wer kann es glauben, exportiert China seit ein paar Jahren sogar mehr Automobile als zuvor und sogar mehr Automobile als Japan, das bisher an der Weltspitze stand. Nur, was ist daran besonders? Ein Land, das wesentlich größer als Japan ist, überholt nach vielen Jahrzehnten den Nachbarn, weil es ihm gelungen ist, technologisch aufzuholen, also genau das zu tun, was jeder vernünftige Mensch von einem erfolgreichen Entwicklungsland erwartet. Doch die Wut der Überholten ist unübersehbar. Es spricht einiges dafür, dass die neue nationalistische Regierung in Japan auch aus solchen Gründen die politischen Spannungen mit China schürt.

Auf den ersten Blick beeindruckend ist auch eine Graphik, in der Setser die chinesischen Überschüsse beim Manufacturing in Beziehung zum globalen BIP setzt. Heraus kommt, dass der chinesische Überschuss in den vergangenen Jahren weit jenseits der Überschüsse von Japan und Deutschland liegt. Japan hatte in seinen besten Zeiten (1980er Jahre) einmal einen Überschuss von einem Prozent des globalen BIP erzielt, Deutschland war 2009/2010 nur auf 0,5 Prozent gekommen, während China jetzt fast zwei Prozent erreicht. Die USA haben ein Defizit von mehr als einem Prozent. Nur, was sagt uns das? Ein Volk, dessen Einwohnerzahl fast zehn Mal so hoch ist wie die japanische und fünfzehn Mal so hoch wie die deutsche, überholt beide Länder in absoluten Größen (im Verhältnis zum globalen BIP). So what? 

Setser handelt bis zu der Stelle nur mit den Handelsbilanzdaten, nicht aber mit der Leistungsbilanz, die nach Daten des IWF für China zuletzt nur mit einem Überschuss in der Größenordnung von 2 Prozent zum chinesischen BIP abschließt. Letztlich ist es jedoch immer die Leistungsbilanz, die ein wirkliches Ungleichgewicht im Handel anzeigen kann, denn Dienstleistungen sind per se nicht schlechter als Güter. 

Das spielt Setser herunter, nennt es statistical shenanigans (statistische Spielereien), aber ohne ein wirklich durchschlagendes Argument zu besitzen, warum die Schätzungen zum Leistungsbilanzdefizit so ungenau sein sollen. Das Leistungsbilanzdefizit in Prozent des jeweiligen BIP ist ohne Zweifel die einzige Kennzahl, die relevant ist und der IWF hat ein Monopol bei der Berechnung dieser Größen.

Die politische Antwort

Bei einer vernünftigen politischen Bewertung der chinesischen Erfolge muss man auch weiterhin zur Kenntnis nehmen, dass China als aufholende Volkswirtschaft immer noch absolute Kostenvorteile besitzt. Sein Lohnniveau liegt immer noch deutlich niedriger als im Westen. Wenn es ihm gelingt, die Technik des Westens einzusetzen oder zu kopieren, wird sich noch einige Jahre an dieser Konstellation nichts ändern. Das gilt insbesondere für die Industrie. Daher sind auch fast alle Klagen über Dumping aus China unberechtigt.

Auch von einem aufholenden Land könnte man allerdings verlangen, dass es seine Leistungsbilanz weitgehend ausgleicht – wenn man selbst dazu bereit wäre. Deutschland als oberster Merkantilist scheidet hier von vorneherein aus. Wer über zwanzig Jahre lang extrem hohe Leistungsbilanzüberschüsse sein Eigen nannte und darauf auch noch stolz war, hat jedes Recht, andere Länder wegen steigender Überschüsse zu kritisieren, verspielt. Das gilt auch für die EU insgesamt, die ihre (deutschen) Überschüsse verteidigt. 

Zu beachten ist auch, dass im Zuge der Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar auch die chinesische Währung gegenüber Europa abgewertet hat. Wer an den Währungsverhältnissen etwas ändern will, müsste allerdings ein weit größeres Rad drehen, als es irgendjemand in Europa derzeit könnte. So wird die EU-Kommission auch in den nächsten Jahren China mit Zöllen ärgern, die auf ungerechtfertigten Dumping-Vorwürfen beruhen. Erreichen wird sie damit nichts. Wie immer in der Geschichte wehren sich die reichen Länder mit Händen und Füßen gegen eine Entwicklung, die lediglich zeigt, dass klug geführte Entwicklungsländer durchaus eine Chance haben, sich gegen die westlichen Platzhirsche durchzusetzen.