Steuern erhöhen oder lieber senken?

Einige Leser haben gefragt, ob ich grundsätzlich gegen Steuererhöhungen bin, weil ich argumentiert hatte, es sei schwierig bis unmöglich, mit höheren Steuern den Staatshaushalt zu sanieren (hier zu finden). Andere wundern sich, dass ich nicht offensiv dafür eintrete, mit Hilfe höherer Steuern die Ungleichheit im Land zu bekämpfen. Wieder andere fragen, ob es nicht gerade jetzt angemessen wäre, die Steuern insgesamt (so etwa die Mehrwertsteuer) zu senken, um die Wirtschaft anzuregen.

Diese Fragen zu beantworten, ist einfach, wenn man losgelöst von Zeit und Raum über Steuern redet, aber es ist nicht ganz so einfach, wenn es in einer bestimmten Situation auch darum geht, ob und wie der Staat die wirtschaftliche Entwicklung beeinflusst.

Nehmen wir die derzeitige Lage. Wenn mich jemand fragt, ob es nicht an der Zeit ist, dass der Staat die Steuern für die oberen Einkommensklassen erhöht, um endlich mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen, dann muss ich zunächst antworten, dass es bei einer Nachfrageschwäche wie derzeit eigentlich keine gute Idee ist, irgendeine Steuer zu erhöhen, weil das zu weiteren Nachfragerückgängen führen könnte. 

Allerdings könnte der Staat dafür sorgen, dass der volle Ertrag der Steuererhöhung sofort unteren Einkommensgruppen zugutekommt, die eine geringere Sparquote als die oberen Klassen haben. Dann gibt es per Saldo sogar eine Nachfragestimulation. Dass dabei die gesamte Sparsumme der Volkswirtschaft merklich sinkt, wage ich jedoch zu bezweifeln. 

Folglich kann eine Umverteilung über einen anderen Einkommenssteuertarif gelingen, aber bei den positiven Wirkungen auf die Wirtschaft sollte man sich nicht allzu viel erhoffen. Die quantitativen Wirkungen werden, im Vergleich zu dem, was wirklich gebraucht wird, relativ gering sein. Wir sprechen über Größenordnungen von neuen Schulden, die jedes Jahr gebraucht werden, um die sparbedingte Nachfragelücke (ohne Leistungsbilanzüberschüsse) auszufüllen, die weit jenseits dessen liegen, was realistischerweise mit einer Steuerumverteilung erreichbar wäre. In einer Zeit, wo sich sogar eine sozialdemokratische Partei aktiv daran beteiligt, bei der Grundsicherung der Ärmsten ein Paar Milliarden Euro herauszupressen, ist zudem die politische Chance, mit einer anderen Steuerpolitik merkliche Nachfrageeffekte zu erzielen, gleich null. 

Ich bin dennoch absolut der Meinung, dass der Staat dringlich dafür zu sorgen hat, dass die Ungleichheit in der Gesellschaft abnimmt. Dazu kann er eine Reihe von Steuern einsetzen, an vorderster Stelle die Vermögenssteuer und eine wirksame Erbschaftssteuer. Deren Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung kann man vernachlässigen, weil sich die Drohungen, die von den Betroffenen in Sachen Abwanderung und Leistungsverweigerung die Welt gesetzt werden, von vorneherein nicht ernst zu nehmen sind. 

Steuersenkungen sind grundsätzlich geeignet, die Wirtschaft anzuregen, wenn der Staat sie vollständig durch neue Schulden finanziert. Steuersenkungen, die durch Ausgabenkürzungen des Staates gegenfinanziert werden, sind dagegen sinnlos. Würde man derzeit etwa die Mehrwertsteuer ohne Gegenfinanzierung deutlich verringern, brächte das mit Sicherheit einen bedeutsamen Effekt für die Konjunktur mit sich. Auch an temporäre Senkungen der Mehrwertsteuer kann man denken, wenngleich die Frage, wann ein (anzukündigender) geeigneter Zeitpunkt ist, um die Senkung wieder rückgängig zu machen ist, wohl niemals seriös beantwortet werden kann. 

Besser als Steuersenkung ist prinzipiell jedoch der Einsatz kreditfinanzierter staatlicher Mittel für öffentliche Investitionen, wenn die ernsthaft vorangetrieben und effizient umgesetzt werden. An Letzterem fehlt es allerdings häufig, wie man derzeit wieder sehen kann. Statt in die Vollen zu gehen, werden die Mittel aus dem „Sondervermögen“ umgewidmet und in den normalen Haushalten für Investitionen eingesetzt. Was aber nur zeigt, dass die gesamte Finanzausstattung des Staates und insbesondere die der Kommunen weit davon entfernt ist, den Anforderungen, die eine moderne Gesellschaft stellt, zu genügen.