(Dieser Artikel ist heute bei Telepolis erschienen)
Friedrich Merz weiß, warum er die Klimafrage in Deutschland wieder in den Hintergrund schieben will. Deutschland sei zu klein, sagte er im Bundestag, um die Welt zu retten (wie z. B. hier zitiert). Das ist falsch, rufen empört die Grünen und ihre journalistischen Mitstreiter, etwas zu bewegen, ist keine Frage der Größe, weil ja Große und Kleine 2015 in Paris gemeinsam beschlossen haben, die Welt zu retten. Wenn die Kleinen von der Fahne gehen, müssen sich auch die Großen an nichts mehr halten.
Der Kanzler wirft eine der zentralen Fragen unserer Zeit auf, plädiert aber für Wegducken. Viele Menschen wollen sich jedoch nicht wegducken, sie sind guten Willens und wollen nicht mitansehen, wie die Welt untergeht. Jeder, so haben es uns die Grünen aller Länder seit Jahrzehnten eingebläut, muss und kann einen Beitrag leisten, wenn er oder sie ihr Leben den veränderten Umständen anpassen. Geben wir diese Geisteshaltung auf, ist alles verloren, weil es dann weder globale Disziplin noch globale Vorbilder gibt.
Das klingt gut, aber auch das hat mit der Wirklichkeit absolut nichts zu tun. Merz liegt zwar falsch, aber Paris ist dennoch tot. Seit 2015 sind die globalen Emissionen von CO2 mit Ausnahme des Corona-Jahres 2020 immer gestiegen (hier die Daten). Und steigen bedeutet scheitern. Es geht nicht darum, etwas weniger zu emittieren, beispielsweise im Verhältnis zu einem wachsenden Sozialprodukt. Es gibt ein absolutes Ziel, zu dem sich alle verpflichtet haben und das heißt: sinkende Emissionen, um die Erwärmung der Erde in Grenzen zu halten. Steigende Emissionen zeigen, dass es in Paris nicht gelungen ist, einen globalen Prozess in Gang zu setzen, der alle, Große und Kleine, zwingt, ihr Verhalten so anzupassen, dass die globalen Emissionen im Zeitablauf zu sinken beginnen.
Hätte Merz gesagt, weil es diesen globalen Prozess nicht gibt, hilft es nichts, wenn wir uns anstrengen, er hätte vollkommen Recht gehabt. Das Scheitern des Pariser Abkommens ist der unmittelbare Beweis dafür, dass einige sich anstrengen können, so viel sie wollen, ohne dass sich am Zustand der Welt etwas ändert.
Angebot und Nachfrage
Was aber ist dieser Prozess? Es geht, wie könnte es anders sein, um Angebot und Nachfrage. Es geht um Ökonomik, nicht um Klimawissenschaft oder um Politik als solche. Man muss die Ökonomik verstehen, wenn man politisch relevante Ratschläge erteilen will. Daran sind die Grünen weder interessiert noch sind sie sachkundig genug, um mitreden zu können. Doch Entrüstung bringt die Welt keinen Schritt weiter.
Der Spiegel hat gerade in einem langen Artikel gezeigt, dass die Kohleproduktion in der Welt seit Paris mit nahezu unverändertem Tempo von Jahr zu Jahr ansteigt. Ähnliches gilt für Öl und für Gas. In den letzten Wochen hat die OPEC gar beschlossen, die Ölproduktion deutlich hochzufahren. Was nichts anderes heißt, als dass das globale Angebot für die fossilen Energieträger Jahr für Jahr ausgeweitet wird, weil es keine Restriktionen für die Produzentenländer (es geht um etwa 25 Länder) gibt.
Die einfache Frage ist, ob die Nachfrager nach diesen Stoffen, also die Konsumenten der fossilen Energieträger (als Einzelner oder in der Gesamtheit) mit ihrem Verhalten die Gesamtproduktion so beeinflussen können, dass die Produzenten ihr Verhalten ändern und weniger produzieren. Für jeden einzelnen Konsumenten ist die Antwort völlig klar nein. Aber selbst für die Gesamtheit ist es mehr als zweifelhaft. Wobei man allerdings über die Gesamtheit der Nachfrager nicht lange nachdenken muss, denn die gibt es als handelndes Subjekt einfach nicht. Die USA etwa sind einer der größten Anbieter und einer der größten Nachfrager zugleich. Man wird sie niemals einfach auf der Nachfrageseite einbinden können.
Wenn die Produzenten sturheil aus der Erde holen, was die Technik und die Quellen hergeben, sorgt der globale Markt für Energieträger dafür, dass die produzierte Menge verteilt und schließlich verbrannt wird. Gibt es einen Rückgang der Nachfrage über lange Fristen in einer Region, gibt es zwar einen Druck auf die Preise, der wird aber in der Regel durch einen Anstieg der Nachfrage in anderen Regionen ausgeglichen, ohne dass es dazu großer Preisbewegungen bedarf.
Der Einzelne kann nichts tun
In einem solchen Markt hat der einzelne Nachfrager keinen Einfluss auf das Angebot. Jeder Verzicht auf den Kauf eines solchen Produktes senkt prinzipiell den Preis, wird aber irgendwo sonst auf der Welt durch eine steigende Nachfrage ausgeglichen. Man kann sein Gewissen beruhigen, indem man so tut, als ob der eigene Verzicht ein Beitrag zur Rettung der Welt wäre, aber es ist und bleibt eine Illussion.
Kohle, Öl und Gas sind ohnehin sehr billig. Der reale Preis, also der Preis im Verhältnis zu unseren Einkommen in den Industrieländern, liegt auf etwa dem lächerlich niedrigen Niveau der 1970er Jahre, also dem Niveau vor den Ölpreisexplosionen. Die meisten Entwicklungsländern verfügen nicht über die finanziellen Mittel, um einen so billigen Energieträger zu ersetzen. Folglich würde eine Politik, die den Menschen diesen billigen Energieträger nimmt, niemals Mehrheiten finden. Um eine Energiewende wie etwa in Deutschland politisch umzusetzen und zu finanzieren, ist ein gewisses Wohlstandsniveau unumgänglich.
Der Markt für fossile Energieträger ist zudem sehr speziell, weil die Kosten für die Förderung (insbesondere bei Öl und Gas) in der Regel weit unterhalb des Marktpreises liegen. Preisschwankungen verringern oder erhöhen die Gewinnmarge der Produzenten, regen sie aber nicht zu einer Änderung bei der Förderung an. Nur bei Fracking ist das anders. Weil dort die Kosten deutlich höher sind, wird die Produktion zurückgefahren, wenn der Preis eine bestimmte Schwelle unterschreitet. Der weitaus größte Teil der Produzenten nimmt Preissenkungen als unvermeidlich hin und erhöht im Zweifel sogar die Produktion, weil die Staatshaushalte auf ein bestimmtes Niveau an Öleinnahmen angewiesen sind.
Dass die Produzenten der fossilen Energieträger auf Preisschwankungen ganz anders reagieren als ein normaler Produzent von Gütern und Dienstleistungen, kann man leicht daran erkennen, dass immer wieder kurzfristig auftretende heftige Preisschwankungen – in der Regel ausgelöst durch finanzielle Spekulation – von den Produzenten nicht mit einer Änderung der produzierten Menge beantwortet werden. Umgekehrt gilt auch, dass die immer wieder einmal von den Produzenten (hier vor allem von der OPEC) beschlossenen Ausweitungen oder Kürzungen der Produktion kurzfristig kaum Auswirkungen auf die Preise haben. Wenn es einmal der Fall ist, dann vor allem dadurch, dass diese Aktionen spekulative Attacken in die eine oder andere Richtung auslösen (zur Bedeutung der Rohstoff-Spekulation, siehe Kapitel 7 meines Grundlagenbuches).
Was ist zu tun?
Der Prozess, den die Welt folglich in Gang setzen muss, will sie die Klimafrage lösen, besteht darin, die Anbieter der fossilen Energieträger dazu zu bringen, die Menge der von ihnen geförderten Rohstoffe Schritt für Schritt so stark zu verringern, dass der reale Preis dieser Produkte über viele Jahre und Jahrzehnte möglichst kontinuierlich steigt. Nur dann kommt eine globale Anpassung in Gang, die dazu führen kann, die CO2-Emissionen dauerhaft und nachhaltig zu senken.
Nur wenn es gelänge, einen solchen Umschwung herbeizuführen (die politischen und ökonomischen Bedingungen dafür habe ich hier geschildert), wären auch die Anpassungen auf der Ebene des Individuums wie auch auf der Ebene kleiner Länder sinnvoll. Sie sind dann aber auch unumgänglich und müssen gerade nicht, wie es heute der Fall ist, jeden Tag neu diskutiert werden.
Wie wahrscheinlich ist es, dass es zu einer solchen globalen Angebotsbeschränkung kommt? Es ist extrem unwahrscheinlich. Bei der Klimakonferenz COP 28 im Jahr 2023 hat man von Seiten der Nachfrageländer zum ersten Mal versucht, die Anbieter der fossilen Energieträger explizit in die zukünftige globale Politik einzubinden. Das Ergebnis war verheerend (wie hier gezeigt). Außer einem belanglosen Satz im Communiqué war nichts zu erreichen. Dass die deutschen Grünen versucht haben, im Bundestagswahlkampf genau diesen Satz als Erfolg ihrer Verhandlungskunst zu verkaufen (wie hier gezeigt), belegt allerdings, dass sie nicht an wirklichen Erfolgen interessiert sind.
Nichts spricht dafür, dass es in absehbarer Zeit gelingen könnte, an den dahinterstehenden politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnissen etwas zu ändern. Angesichts der Komplexität der Ausarbeitung einer solchen Angebotsbeschränkung (jeder Produzent hat eine andere Ausgangslage und andere wirtschaftliche und politische Bedingungen, die man bei einem Verzicht auf zukünftige Produktion nicht ignorieren kann) bräuchte man ein umfassendes Verhandlungsmandat über viele Jahre und müsste anschließend einen enormen Aufwand treiben, um eine solche Vereinbarung zu kontrollieren – wenn sie denn jemals zustande käme.
Einigt sich die Weltgemeinschaft nicht auf einen solchen Prozess der Angebotsbeschränkung, können sich die Kleinen und die Großen dieser Welt alle Versuche sparen, die Welt zu retten. Weder die Bemühungen von Einzelpersonen und Familien noch die der meisten Staaten werden die Verbrennung fossiler Energieträger verlangsamen. Selbst die Bemühungen der EU inklusive des Emissionshandels sind zum Scheitern verurteilt.
Alle kleinteiligen Maßnahmen bei den Automobilen oder bei den Heizungen kann man sich von vorneherein schenken. Das ist alles nur Symbolpolitik, mit der man sich selbst ein gutes Gewissen einredet. Friedrich Merz hat im Ergebnis Recht: Wir können die Welt nicht retten, aber nicht, weil wir zu klein sind, sondern weil die Staaten dieser Welt nicht in der Lage sind, eine rationale Klimapolitik zu entwerfen und zu betreiben.