Der Staat und sein Haushalt: Wer füllt die Nachfragelücke?

(Dieser Artikel ist gestern in leicht modifizierter Form im „Freitag“ erschienen)

Die Bundesregierung ist dabei, ihren ersten Haushalt zu verabschieden. Das Programm, auf das sich CDU/CSU und SPD geeinigt haben, soll in Zahlen gegossen werden. Doch wer versucht, sich einen Überblick über die Größenordnungen, die Verschiebungen zum vorherigen Haushalt, die Schuldenregeln und die Auswirkungen des Haushalts auf die wirtschaftliche Entwicklung zu verschaffen, verliert schnell den Überblick. So kapriziert man sich zumeist auf Details. 

Doch um Kleinigkeiten geht es nicht. Mit dem Bundeshaushalt, der in diesem Jahr bei einem Bruttoinlandsprodukt von 4,3 Billionen € eingebettet ist in einen staatlichen Gesamthaushalt von etwa 2,2 Billionen €, bestimmt der Staat entscheidend über die wirtschaftliche Entwicklung mit. Diese Regierung will nach zwei Jahren der Stagnation eine neue Wachstumsdynamik anfachen.

Aber wie macht man das? Selbst der größte Akteur auf dem Parkett muss man eine Vorstellung von dem haben, was der Wirtschaft fehlt. Hier aber scheiden sich die Geister. Die Regierung setzt darauf, dass Steuerentlastung für die Unternehmen und Bürokratieabbau eine belebende Wirkung entfalten. Doch das ist ein Trugschluss. Einzelmaßnahmen verpuffen, wenn man bei der großen Linie falsch liegt. 

Doch wo ist die große Linie? Der entscheidende Brocken, um den es geht, ist die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Die privaten Haushalte in Deutschland verfügen über ein Einkommen von 2,6 Billionen €, aber sie sparen davon etwa 11 Prozent, also fast 300 Milliarden €. Da die Einkommen der Haushalte vollständig von den Unternehmen und vom Staat gezahlt werden, sind die darauf angewiesen, dass über Güterkaufe, Steuern und Gebühren 2,6 Billionen zurückfließen. Durch die Ersparnis fehlen aber in jedem Jahr 300 Milliarden. Das ist die gewaltige Nachfragelücke, die der Staat fest im Blick haben muss. Wird sie nicht gefüllt, gibt es kein Wachstum. 

Nach der Lehrbuchvorstellung, der die meisten Ökonomen anhängen, sorgen die Unternehmen in einer Marktwirtschaft selbst dafür, dass sich die Lücke schließt. Sie verschulden sich und investieren. Doch das ist eine grandiose Illusion. In den beiden letzten Jahrzehnten haben die Unternehmen durch eigenes Sparen die Lücke sogar vergrößert. Einen Unternehmenssektor, der Schulden macht, gab es zuletzt im Wirtschaftswunderland. Das ist sehr sehr lange her. 

Die Lücke geschlossen hat in den letzten zwanzig Jahren fast ausschließlich das Ausland. Haushalte und Unternehmen im Ausland haben sich verschuldet, um mehr deutsche Güter und Dienste zu kaufen als Deutschland selbst dort gekauft hat. Noch im vergangenen Jahr gab es einen Leistungsbilanzüberschuss von fast 250 Milliarden € und folglich in gleicher Größe eine Verschuldung des Auslandes. Doch nun, in den Zeiten von Donald Trump, erwartet selbst die Regierung, dass der Überschuss auf 150 Milliarden € sinkt. 

Das ist das Problem. Bleiben die Unternehmen bei dem Spar-Überschuss von 50 Milliarden, den sie im vergangenen Jahr hatten, ist die Rechnung einfach, aber das Problem groß. Liegt das Sparen der Privaten insgesamt bei 350 Milliarden € und verschuldet sich das Ausland nur noch um 150 Milliarden €, liegt die Lücke, die dann nur noch der Staat füllen kann, bei 200 Milliarden €. Die allgemein erwarteten und von der Bundesregierung geplanten 110 bis 130 Milliarden Defizit beim gesamten Staat sind viel zu wenig, um die Wirtschaft wenigstens bei null zu halten. Wer Wachstum will, muss ein Defizit in der Größenordnung von mindestens 200 Milliarden € anstreben. 

Natürlich gibt es in dieser einfachen Rechnung einige Unbekannte. Niemand kann vorhersagen, wie groß die Verschuldung des Auslands am Ende sein wird. Auch die Überschüsse der Unternehmen sind kaum zu schätzen. Nur die riesige Nachfragelücke der privaten Haushalte ist so sicher, dass man darauf die gesamte Strategie der Wirtschaftspolitik aufbauen muss. Wer Wachstum will, muss flexibel sein. Der Staat muss reagieren, wenn etwa Trump höhere Zölle durchsetzt, als es derzeit erkennbar ist. Wenn er versucht, die Defizitziele, die er sich jetzt setzt, auf Teufel komm raus durchzuhalten, wird er auf jeden Fall scheitern.