Die wirtschaftliche Lage wird nicht besser. Zwar ist das erste Quartal etwas besser gelaufen als das zweite Halbjahr 2024, aber von einer wirklichen Wende kann nicht die Rede sein. Das gilt auch für ganz Europa. Die letzte Umfrage von PMI Markit zeigt, dass die europäische Wirtschaft im April und Mai nicht über die Schwelle hinausgekommen ist, ab der Wachstum erwartet werden kann.
Und die Wirtschaftspolitik in Deutschland und Europa? Europäische Politik ist nicht existent und in Deutschland schleppt man sich über uralte Holzwegen ohne Blickkontakt zum Horizont. Es ist wirklich deprimierend. Neben der in der Trump-Welt vollkommen abwegigen Wettbewerbsfähigkeit klingen die ersten Wortmeldungen der neuen Regierung zur Wirtschaftspolitik verdammt nach den alten Zeiten, als die CDU von der geistig moralischen Wende schwadronierte, ohne zu wissen, was sie tun wollte.
Mehr arbeiten?
Wirtschaftspolitik geht in dieser Welt so, wie sich das klein Fritzchen vorstellt. Wäre doch gut, wenn alle mehr arbeiten würden, dann würde man auch mehr produzieren und die Probleme wären gelöst. Wirtschaft ist wie ein Baukasten. Fehlt irgendwo ein Klötzchen, muss man es nur einsetzen und alles wird gut. Wirtschaftliche Dynamik, Investitionen, internationaler Handel, Ungleichgewichte im Handel, Zinsen, Wechselkurse, das alles existiert nicht, weil alle, die etwas zu sagen haben, darüber nichts wissen.
In dieser Kindergartenwelt ist die individuelle Arbeitszeit das größte Problem. Das ist nicht alter Wein in neuen Schläuchen, sondern längst zu Essig gewordener Wein in uralten Schläuchen. Der von der CDU gestellte deutsche Bundeskanzler sagte vor einiger Zeit:
Immer kürzere Arbeitszeit bei steigenden Lohnkosten, immer mehr Urlaub: Das ist keine Voraussetzung für eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Wir haben in Deutschland im Durchschnitt sechs Wochen Urlaub und zwölf Feiertage pro Jahr. Bei der wöchentlichen Arbeitszeit liegen wir, gleichzeitig mit durchschnittlich 37,5 Stunden niedriger als alle unsere Konkurrenten. Dennoch scheint es für viele nichts Wichtigeres zu geben, als über mehr Freizeit nachzudenken. Wir können die Zukunft nicht dadurch sichern, dass wir unser Land als einen kollektiven Freizeitpark organisieren. Wir müssen in allen Bereichen unserer Ökonomie die notwendigen Voraussetzungen für eine grundlegende Umkehr schaffen.
Untersuchungen im Auftrag der EG-Kommission über Maschinenlaufzeiten in der Europäischen Gemeinschaft haben ergeben, dass die deutsche Industrie gegenüber ihren Konkurrenten auch auf diesem Feld große Wettbewerbsnachteile hat….
Was wir jetzt brauchen, sind mehr betriebsbezogene Lösungen und flexiblere Arbeitszeiten, um in der weltweiten Konkurrenz weiterhin an der Spitze mithalten zu können. Es ist höchste Zeit, von starren Arbeitszeitregelungen Abschied zu nehmen.
Ja, das war Bundeskanzler Helmut Kohl im Jahr 1993.
32 Jahre später gibt es anscheinend immer noch kein anderes Thema als die individuelle Arbeitszeit. Warum? Was soll sich ändern, wenn jeder einzelne, der derzeit einen Arbeitsplatz hat, 10 statt acht Stunden am Tag arbeiten darf? So viel Arbeit (das Arbeitsvolumen für die gesamte Volkswirtschaft ist gemeint, also die Gesamtzahl aller gearbeiteten Stunden) braucht offenbar niemand, sonst hätte man ja im vergangenen Jahr nicht viele Menschen zusätzlich in die Arbeitslosigkeit geschickt und die Wirtschaft würde Arbeit in ungeahnten Dimensionen nachfragen.
Es wird in der Politik und den Medien systematisch verdrängt, aber die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland lag im April dieses Jahres (mit nahezu drei Millionen) um fast 200 000 höher als vor einem Jahr. Das spricht nicht für zu wenig Arbeit, sondern für zu viel. Gleichzeitig lag die Zahl der offenen Stellen um mehr als 50 000 niedriger als im April 2024 und belief sich absolut nur noch auf lächerliche 650 000 – bei drei Millionen Arbeitslosen und einer geschätzten stillen Reserve von zwei Millionen. Auch das spricht nicht für zu wenig Arbeit, sondern für zu viel.
Noch irrer ist es, mit der Abschaffung von Feiertagen die Wirtschaft sanieren zu wollen. Auch das ist eine Idee aus den 90er Jahren, die heute von jungen Ökonomen wie Moritz Schularick auf die politische Bühne geschoben wird, weil die offensichtlich gar nicht wissen, welche abgelutschte Kamelle sie dem Volk anbieten. Die Abschaffung von Feiertagen wäre nichts anderes als Lohnsenkung, wenn denn tatsächlich insgesamt mehr Stunden gearbeitet würden. Das ist aber nicht einmal zu erwarten. Wenn zwei Tage mehr für die Unternehmen zur Verfügung stehen, werden sie bei der derzeitigen Lage an anderen Tagen einfach weniger arbeiten oder weniger Überstunden für die vorhandene Belegschaft ansetzen. Zu glauben, man könne das Arbeitsvolumen erhöhen, indem man einfach die jährlich mögliche Arbeitszeit verlängert, ist mit Kindergartenökonomik schon nicht mehr angemessen zu beschreiben.
Nachfrage gibt es nicht
Dass die CDU in Sachen Wirtschaftspolitik nie etwas lernt und auch nichts lernen will, wussten wir schon. Aber dass nicht einmal die SPD über Arbeitslosigkeit redet und stattdessen die neue Arbeitsministerin mit unsinnigen und ebenfalls uralten Vorschlägen zur Einbeziehung der Beamten in die Rentenversicherung ins Rennen schickt, lässt Böses ahnen. Noch nie, so scheint mir trotz der erschreckenden Erfahrung mit der Ampel, war eine Regierung so weit weg von einer angemessenen Diagnose der Lage wie diese. Nachfrage gibt es einfach nicht. Wollte Habeck die wirtschaftliche Flaute noch mit transformationsgeleiteter Angebotspolitik überwinden, geht es jetzt nur noch um die primitivsten Vorurteile à la Kohl.
Dazu passt, dass der Bundesfinanzminister von der SPD die Ministerkollegen auffordert, Sparpläne für ihre Ressorts für dieses und für das nächste Jahr einzureichen. Trotz der Schuldenbefreiungsaktion im alten Parlament wird es diese Regierung schaffen, durch eifriges Sparen der deutschen Konjunktur schon bald einen weiteren Dämpfer zu versetzen. Die Zusage, die Infrastrukturmilliarden „zusätzlich“ einzusetzen, ist schon im Gesetzestext mit einer wunderbaren Formulierung kassiert worden.
„Zusätzlichkeit liegt dann vor, wenn im jeweiligen Haushaltsjahr eine angemessene Investitionsquote im Bundeshaushalt erreicht wird“, steht dort, was nichts anderes heißt, dass es gerade keine Zusätzlichkeit gibt. Man hat genau das getan, wovor viele gewarnt haben, nämlich eine Regel zu schaffen, bei der die ohnehin vorgesehen Mittel für Investitionen gekürzt und durch solche ersetzt werden, die aus dem Infrastrukturfonds finanziert werden können (wie hier in der SZ beschrieben). Das ist stark. Weil man trotz der vollmundigen Ankündigungen zum Infrastrukturprogramm nicht verstanden hat, was derzeit Sache ist, drückt man die Nachfrage weiter und verschärft die Lage, lange bevor die Nachfrage nach Kriegsgerät eine expansive Wirkung entfalten könnte.
Würde nicht die EZB allmählich die Zinsen senken, hätte man keine Idee, was überhaupt die europäische und die deutsche Wirtschaft beleben könnte. Gäbe es mit den USA und Frankreich nicht zwei Handelspartner, die hohe Defizite im Außenhandel mit Deutschland (und mit dem Rest der Welt) verkraften, die deutsche Wirtschaft würde ungebremst einbrechen. Gerade hat das Statistische Bundesamt gemeldet, im ersten Quartal dieses Jahres sei im Handel mit den USA einer der höchsten Überschüsse aller Zeiten erzielt worden. Auch der Überschuss in der Leistungsbilanz gegenüber dem Rest der Welt war im ersten Quartal 2025 wiederum sehr hoch.
Hinzu kommt, dass Deutschland die europäischen Partner in Sachen Wirtschafts- und Finanzpolitik total im Dunkeln lässt. Es muss schnellstens geklärt werden, was die deutschen Schuldenpläne für Europa bedeuten. Wird sich Deutschland den europäischen Schuldenregeln anpassen und seine gerade beschlossenen nationalen Regeln wieder eindampfen oder wird sich auch Europa einen Schluck aus der Pulle genehmigen können, nachdem die bisherigen Abstinenzler umgefallen sind? Oder wird Deutschland gar, das wäre das Höchstmaß an Perfidie, die anderen auffordern, die im vergangenen Jahr beschlossenen Schuldenregeln einzuhalten, ohne sich selbst im Geringsten dadurch gebunden zu fühlen?
Man sieht, es gibt eine Masse von Problemen, die unmittelbar schwierige Entscheidungen verlangen, soll sich die Lage nicht noch weiter verschlechtern. Wirtschaftsphilosophische Ausflüge in die Arbeitswelt kann man sich sparen. Doch Deutschland sitzt mal wieder in der selbst gebauten Isolationszelle und weigert sich, die Welt da draußen zur Kenntnis zu nehmen. Zwar reist man physisch durch die Welt, um Kollegen zu treffen und schöne Fotos zu machen, doch geistig bleibt man lieber in der Isolation, weil die anderen sonst merken könnten, dass da nichts ist, was es zu besprechen lohnt.