Doppelte Buchführung, Saldenmechanik und wissenschaftliche Erkenntnis

Joachim Nanninga hat aus der Sichtweise einer konsistenten doppelten Buchführung meine Aussagen zur Schweizer Nationalbank (SNB) überprüft und findet heraus, dass es bei dieser Sichtweise keinen Vermögensaufbau gegeben hat. Die Operation, bei der die SNB zuerst US-Dollars und danach amerikanische Staatsanleihen über fast zwanzig Jahre in einem ungeheuren Ausmaß gekauft hat, erscheint dort als vermögensneutral. Das ist aus einer ökonomischen Perspektive ohne Zweifel falsch. 

Die SNB hat in der Größenordnung, die dem gesamten schweizerischen Bruttoinlandsprodukt nahe kommt, ohne dass auf ihrer Seite irgendwelche zusätzlichen Kosten entstanden wären, Dollars und Euros erworben und mit den so erworbenen Devisen zinstragende Papiere gekauft, die hohe Erträge abwarfen. Mit den Zinserträgen hat die SNB jahrelang (die Politik der systematischen Intervention begann bereits 2009) in den Staatshaushalt und in die Sozialversicherung einbezahlt. 

Das alles verschwindet bei einer Sichtweise, die sich auf die doppelte Buchführung stützt. Ich kann daraus nur folgern, dass die doppelte Buchführung keine geeignete Herangehensweise ist, wenn man ökonomische Zusammenhänge verstehen und erklären will. Es ist offenbar so, dass die buchhalterische Sichtweise einerseits Dinge erscheinen lässt (wie die berühmten Target-2-Salden), die ökonomisch nicht sinnvoll interpretiert werden können, andererseits aber auch Dinge verschwinden lässt, deren ökonomische Deutung zweifelsfrei möglich ist. 

Die Schweizer Aktion wäre nur dann vermögensneutral gewesen, wenn nach kurzer Zeit eine Gegenbewegung beim Dollar-Franken-Kurs eingesetzt hätte, die zur vollständigen Vernichtung dieser Bestände bei der SNB geführt hätte. Diese Bewegung gab es aber bis heute nicht, weswegen die SNB immer noch auf dem Berg von Anleihen sitzt und nur gelegentlich wegen Änderungen bei der Bewertung der Papiere einmal einen Verlust erleidet. 

In einem Papiergeldsystem ist es zwingend, dass am Ende eine Institution steht, die das unerhörte Privileg hat, Zentralbankgeld zu Nullkosten aus dem Nichts zu schaffen. Wenn das, wie in der Schweiz einseitig und über Jahre zur Schwächung der eigenen Währung eingesetzt wird, hat es ungeheuer große Vermögenseffekte, jedenfalls wenn man Vermögen als die Fähigkeit ansieht, Zinserträge zu erzielen, die die eigenen Aufwendungen zum Erwerb dieses Vermögens (die hier praktisch null sind!) übersteigen. 

Die buchhalterische Sichtweise überdeckt offensichtlich auch, und da wird es sehr bedenklich, wie groß die Macht der Zentralbank in einem Papiergeldsystem ist. Das gilt auch für die Machtverhältnisse zwischen Banken und Zentralbank. Geht man wie Nanninga an das Geldsystem heran, unterschätzt man die Bedeutung der Zentralbank im Verhältnis zu den Banken in grandioser Weise. Man betrachtet beide als nahezu gleichberechtigte Institutionen, weil beide in der Lage sind, Geld aus dem Nichts zu kreieren. Aber die Geldschöpfung der Banken ist ökonomisch kaum von Bedeutung. Wann hätte je eine Bank versucht, mit Zentralbankgeld, also mit Geld, das sie sich von ihrer Zentralbank leihen muss, ein Währungsverhältnis so massiv zu beeinflussen, dass sie schließlich einer der größten Gläubiger der USA und Europas geworden wäre? 

Die Zentralbank ist nicht Clearing-Stelle, wie es aus buchhalterischer Sicht erscheint, sondern sie ist der entscheidende Spieler im Geldsystem. Sie setzt den Zins fest und bestimmt damit allein die gesamte Richtung, die das monetäre System nimmt und auf welche Weise es das reale System beeinflusst. Sie kann den Zins festsetzen und jederzeit kontrollieren, weil sie das Geldangebot – wiederum praktisch ohne Kosten – beliebig flexibel so an die Geldnachfrage anpassen kann, dass sie jederzeit den von ihr angestrebten Zinssatz erreicht. Das ist in der jüngsten Phase einer restriktiven Geldpolitik von 2021 bis 2023 eindrucksvoll bestätigt worden. Obwohl viele glaubten, der Zentralbank sei die Kontrolle über den Geldschöpfungsprozess entglitten, gab es nirgendwo auf der Welt für die Zentralbanken ein Problem, den Zins genau so zu setzen, wie sie es sich vorstellten. 

Keine Bank kann sich der Notenbank erfolgreich entgegenstellen. Hat man schon einmal gehört, dass sich ein Bankensystem erfolgreich gegen eine Zinserhöhung der Zentralbank zur Wehr setzen konnte, indem es einfach mehr Geld geschaffen hat? Nein, offensichtlich ist die Zentralbank die einzige Institution, die eigenständig agieren und reagieren kann. Die für sich genommen richtige Aussage, auch eine Bank oder das Bankensystem könne durch Bilanzverlängerung Geld schaffen, bedeutet nicht, dass beide es unten den konkreten Umständen unseres Geldsystem in einem für die Gesamtwirtschaft relevanten Sinne tun oder tun könnten. Gegen die Absichten der Zentralbank können sie es auf keinen Fall tun.

Die Zentralbank kann das Geld, das sie unter die Leute bringen will, auch mit dem Hubschrauber über dem Land verteilen oder per Zufallsgenerator an beliebige Konten von Privathaushalten überweisen. Dazu braucht sie überhaupt keine Banken. Dann ist es auch offensichtlich, dass die Verbindlichkeit, die von der Zentralbank gegen das Geld gebucht wird, eine Fiktion ist. Denn die entsprechende Forderung, die ja dann in den Händen der Bürger liegen müsste, gibt es nicht. Niemand kann von der Zentralbank verlangen, gegen das von ihr gelieferte Geld etwas anderes als wiederum das gleiche Geld zu erhalten, dessen intrinsischer Wert null ist. Ich vermute, selbst um Grillfeuer anzuzünden ist es schlecht geeignet. Das ist die Logik eines Papiergeldsystems und begründet das unerhörte Privileg der Zentralbank.

Mir scheint, dass der durch die Modern Monetary Theory weit verbreitete Glaube, die Bedeutung der Zentralbank und des von ihr gesetzten Zinses seien für die Wirtschaft von untergeordneter Bedeutung, hier seinen Ursprung hat. Weil man die Bedeutung der Banken für die Geldschöpfung betonen wollte, hat man die Bedeutung der Notenbank heruntergespielt. Damit wurde aber eine Perspektive geschaffen, die die realen Verhältnisse grundlegend verzerrt. 

Sind doppelte Buchführung und Saldenmechanik ein geeigneter Führer durch den Dschungel der Ökonomik? Die Antwort ist eindeutig: nein. Sie verdunkeln an manchen Stellen eher die Sicht, als dass sie sie erhellen. Doppelte Buchführung und Saldenmechanik können keine Analyse ersetzen, die die Dynamik des wirtschaftlichen Systems auf kausale Beziehungen zurückführt und damit wirklich erklärt. Wie in jüngster Zeit an dieser Stelle in vielen Beiträgen erklärt, kann man Leistungsbilanzsalden gerade nicht mit Saldenmechanik erklären. Ja, die Saldenmechanik führt sogar in die Irre, wenn man sich nicht von vorneherein ihrer begrenzten Aussagekraft bewusst ist.