Neoklassische Konfusion an deutschen Universitäten: Arme Studenten

Einer meiner Leser hat heute morgen seinen Frühstückskaffee verschüttet, als er seine Heimatzeitung aufschlug. Zum Weltspartag nämlich befragte die HNA (die Hessisch-Niedersächsische Allgemeine) Klaus Gründler, Professor für Makroökonomik an der Universität Kassel und Forschungsgruppenleiter beim ifo-Institut. Langfristig, sagt der Professor, ist Sparen der Wachstumsmotor schlechthin.

Das Zitat in seiner ganzen Schönheit: „Sparen heißt, den eigenen Konsum in die Zukunft zu verschieben: heute etwas weniger ausgeben, um später mehr zu haben. Vereinfacht gesagt bedeutet das auch: Wenn viele Menschen sparen, steigt das Kapitalangebot. Das senkt langfristig die Zinsen, was Investitionen, zum Beispiel für Unternehmen, günstiger macht. Mehr Investitionen führen zu Wachstum. Langfristig ist das Sparen also der Wachstumsmotor schlechthin.“

Man sieht, warum es stimmt, wenn ich behaupte, die Volkswirte hätten ihr eigenes Fach aufgegeben. Die einfachste Frage, die sich jedem Menschen stellt, der über eine ganze Volkswirtschaft nachdenken soll, ist doch, was passiert anderswo, wenn viele Menschen sich entscheiden, heute von ihrem Einkommen weniger auszugeben. Das kann doch nicht folgenlos sein. Die primitivste und naheliegendste Folge ist doch offenbar, dass die Unternehmen, bei denen diese Menschen sonst mehr gekauft hätten, jetzt in die Röhre gucken, weil ihre Nachfrage fällt. 

Es hilft doch dem Unternehmen nichts, wenn plötzlich mehr Geld auf irgendwelchen Bankkonten liegt. Ihre Gewinne sinken. Wenn ihre Gewinne sinken, hat sich auch das nächste Argument des Kasseler Professors erledigt: Selbst wenn mehr Geld auf Bankkonten liegt und dieses Geld die Zinsen drücken würde (was nicht stimmt, weil, wie hunderte Male gezeigt, die Geldpolitik die Zinsen bestimmt und nicht das ominöse Sparen), müsste er sagen, es gibt zwar mehr Kapitalangebot, aber gleichzeitig sinkende Gewinne. Was da für die Zinsen rauskommt, müsste ein ehrlicher Mensch sagen, kann niemand genau wissen, es ist aber bestimmt keine Zinssenkung, die die Investitionstätigkeit anregt. 

Außerdem frage ich mich, was eigentlich ein „Weltspartag“ ist. Das ist schon deswegen ein wirklich bemerkenswerter Tag, weil „die Welt“ genau die Institution ist, die nicht in dem Sinne sparen kann, dass einer weniger ausgibt als vorher. Abgesehen von allen anderen Argumenten, hier ist schon das Anlegen des (von allen Menschen) nicht für Konsum ausgegebenen Einkommens   nicht so einfach, denn die Sparkassen auf dem Mars und der Venus sind auch elektronisch nicht zuverlässig erreichbar. 

Nicht minder „robust“ in Sachen Logik ist die Argumentation, die Lars Feld den gläubigen Handelsblattlesern fast jede Woche in seinem „Ordnungsruf“ vorsetzt. Auch darauf hat mich ein Leser hingewiesen. Feld findet, dass die deutschen Unternehmen im Inland nicht investieren, weil die Kosten zu hoch sind. Wörtlich: „Arbeitskosten, Energiekosten, die Steuerbelastung und die Regulierungsintensität sind zu hoch“. 

Auch hier wirft der Volkswirt die Volkswirtschaft von vorneherein über Bord. Schon in den 1980er Jahren sagte ein kluger Kollege im Bundeswirtschaftsministerium: Für die Standardvolkswirte „sind die Kosten immer das Teuerste“. Das trifft es auf den Punkt, weil dummerweise auch hier gilt, dass die Kosten des einen die Einkommen eines anderen sind. Wer die „zu hohen Kosten“ senkt, senkt unweigerlich und unvermeidlich die Einkommen der Menschen, die die Produkte kaufen sollen, die von den Unternehmen hergestellt werden. Folglich sinkt die Nachfrage bei den Unternehmen. Ob das genau das ist, was die Unternehmen derzeit brauchen, kann man mit guten Gründen in Frage stellen.

Wer die Energiekosten senken will, muss die Einkommen der Energieproduzenten senken, was nicht so einfach ist, weil die meisten sich unseren Verwaltungszugriff entziehen, weil sie im Ausland sitzen. Aber auch die fragen Güter nach. Wer jedoch will, dass der Staat die Energiekosten subventioniert, was Herrn Feld sicher niemals in den Sinn kommt, denn er will ja weniger Staatseingriffe, der muss sich fragen, auf welche Investitionen der Staat dann verzichtet, denn die Subvention kostet ja etwas. Wer will, dass der Staat die Subvention mit neuen Schulden finanziert, hat mich prinzipiell auf seiner Seite. Allerdings frage ich mich, ob es dann nicht bessere Möglichkeiten gibt, staatliches Geld auszugeben, nämlich so, dass die Masse der Unternehmen davon profitiert, statt mit staatlichen Krediten die Energiekosten einiger Unternehmen herunter zu subventionieren. 

Was die Regulierungsintensität und die Steuern betrifft, verweise ich auf den Befund der Deutschen Bundesbank, die herausgefunden hat, dass die deutschen Unternehmen erst seit 2022 hier ein Problem sehen. Das hat mich ungemein beruhigt. Wenn diese Faktoren kein Dauerproblem sind, dann sind sie gar keines, sondern lediglich der Reflex einer politischen Diskussion, die genau hier seit einigen Jahren andockt, weil ihr das notwendige Wissen und die Phantasie in allen übrigen Bereichen fehlt.