Die kleine Sommerhoffnung ist schon verflogen: In der deutschen Industrie geht es weiter bergab. Die Entwicklung des Auftragseinganges bei der deutschen Industrie für August dieses Jahres bestätigt die Befürchtungen, die ich aufgrund anderer Indikatoren schon geäußert hatte. Der Verfall der Nachfrage geht weiter.
Der Einbruch bei den Auftragseingängen, der im Frühjahr 2022 begann und in die längste Rezession der deutschen Geschichte mündete, ist nicht zu Ende, wie das aktuelle Bild des Statistischen Bundesamtes (Auftragseingang verarbeitendes Gewerbe insgesamt ohne Großaufträge) zeigt. Im August wurde nahezu einer neuer Tiefpunkt in diesem Zyklus erreicht.

Aber statt darüber zu berichten und sich zu fragen, wie man die eklatante Nachfrageschwäche beheben kann, verbreitet das Lobbyinstitut der Arbeitgeber Horrorgeschichten über den Sozialstaat, die sich bei genauem Hinsehen als Märchen erweisen. Ein Leser weist mich darauf hin, dass Daniel Stelter im Handelsblatt mit Bezug auf eine „Studie“ des Arbeitgeberinstituts IW behaupten darf, die deutschen Staatsfinanzen befänden sich am Abgrund, weil die Sozialausgaben „alles auffressen“. Aber auch das Handelsblatt selbst widmet sich dieser „Studie“ mit großem Aufwand.
Schaut man in das Machwerk der Arbeitgeber hinein, sieht man auf den ersten Blick, dass der scheinbar dramatische Anstieg bei den Sozialausgaben des Bundes (nicht des Gesamtstaates) ausschließlich darauf zurückzuführen ist, dass der Bund nach der deutschen Vereinigung mit enormen Belastungen durch die stark gestiegene Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland und mit der Integration der dortigen Bevölkerung nach dem Zusammenbrauch der ostdeutschen Wirtschaft zu kämpfen hatte. Allein die Übernahme der ostdeutschen Arbeitnehmer (die keinen Kapitalstock und folglich kein Einkommen mitbrachten) in die westdeutsche Rentenversicherung konnte nicht ohne erhebliche Bundeszuschüsse bewältigt werden.
Daraus eine Geschichte zur Erklärung der heutigen Lage zu konstruieren, ist einfach eine Unverschämtheit. Die gleichen Leute, die am 3. Oktober das Hohelied der deutschen Einheit singen, tun so, als sei die für Ostdeutschland ungeheuer brutale und teure Abwicklung der dortigen Wirtschaft, von der westdeutsche Unternehmen enorm profitiert haben, verantwortlich für die heutigen Probleme der westdeutschen Industrie.
Man sieht als Mensch mit gesundem Verstand, dass die deutsche Wirtschaft und die deutsche Wirtschaftspolitik direkt ins Verderben rennen, weil bei beiden Regierungsparteien der Lobbyismus weit mehr zählt als eine nüchterne Bestandsaufnahme. Eine Wirtschaft, die offenkundig unter fehlender Nachfrage leidet, wird systematisch falsch therapiert. Man kann nicht begreifen, dass es im Unternehmerlager offenbar keinen einzigen hellen Kopf gibt, der einmal auf den Tisch haut und seine Lobbyfritzen im IW mit ihren lächerlichen ideologischen Geschichten zurückpfeift.
Friedrich Merz, Katharina Reiche und Lars Klingbeil sind exakt die Nichtswisser, denen man ökonomisch jeden Unsinn als wirtschaftspolitische Lösung verkaufen kann. Wichtig ist nur, dass immer dick obendrauf steht, dass man der schwäbischen Hausfrau hundertprozentig vertrauen muss. Reiche hat sich sogar einen neuen libertären Beirat gebastelt, der nichts anderes im Sinn hat, als die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Welt so lange zu verdrehen, bis niemand mehr weiß, was Sache ist. Doch dazu in einigen Tagen mehr.