Der Anleihemarkt sendet eine Warnung an die Bundesregierung – nur welche?

Beim Handelsblatt sind die Redeakteure ja immer besonders klug. Sie „lesen“ die Märkte und wissen genau, was die Märkte für richtig finden. Und was die Märkte für richtig finden, müssen wir alle richtig finden, denn die Märkte sind einfach klüger als wir Sterblichen. 

Wo es um staatliche Schulden geht, scheinen die Märkte besonders wichtig zu sein, denn nur die Märkte können die Schuldenorgien des Staates finanzieren oder auch nicht – so jedenfalls der Glaube der Marktgläubigen. Gerade schreibt das marktnahe Blatt, die Märkte sendeten eine Warnung an die Bundesregierung. Doch die Begründung ist erstaunlich:

„Bei den US-Treasuries liegt die Rendite derzeit bei knapp 4,1 Prozent. Auf lange Sicht gab es ein solches Niveau zuletzt im Jahr 2007 vor der Finanzkrise. Seit dem Jahresbeginn ist die Rendite allerdings gefallen. Anfang Januar lag sie noch bei fast 4,6 Prozent. Bei Bundesanleihen sind die Renditen seit Jahresbeginn dagegen gestiegen, von knapp 2,4 Prozent auf fast 2,7 Prozent. Der Renditeabstand von US-Anleihen zu Bundesanleihen hat sich also verringert, von 2,2 auf 1,4 Prozentpunkte.“

Auch bei der FAZ geht alles durcheinander. Da glaubt Werner Mussler, er könne die Risikoaufschläge für französische Anleihen daran messen, dass „die Zinsen für zehnjährige Staatspapiere… mit rund 3,5 Prozent immer noch deutlich unter jenen für amerikanische oder britische Anleihen“ liegen. Das ist noch abwegiger. 

Man muss bei einem Vergleich der Zinsen zwischen Kontinentaleuropa und den USA bzw. Großbritannien immer im Blick haben, dass die kurzfristigen Zinsen, die praktisch zu einhundert Prozent von der Zentralbank gesteuert werden, völlig unterschiedliche Niveaus in den USA und in Großbritannien auf der einen und in Kontinentaleuropa auf der anderen Seite haben. Nur wenn man die langfristige Rendite in Beziehung setzt zu den kurzfristigen Zinsen, kann man sinnvolle Aussagen ableiten. Tut man das, ist genau das Gegenteil von dem, was die deutschen Journalisten behaupten, das Ergebnis. 

Der Abstand zwischen kurz und lang in den USA, der sogenannte Spread, ist in den USA zuletzt wieder leicht im Minus, was tatsächlich heißt, dass die kurzfristigen Zinsen minimal über den langfristigen liegen, die Zinsstruktur ist folglich invers. In Deutschland liegt der Abstand bei über einem halben Prozent und die Zinsstruktur ist normal. Der langfristige Zins ist damit im Vergleich zum kurzfristigen in Deutschland deutlich höher als in den USA. Selbst wenn sich, was das Handelsblatt feststellt, der Renditeabstand zwischen Deutschland und den USA im ersten Halbjahr 2025 verringert hat, zeigt der Spread eindeutig, dass die langfristigen Zinsen in den USA immer noch relativ niedrig im Vergleich zu Deutschland sind. 

Folglich hat das Land mit den weitaus höheren laufenden staatlichen Schulden (in diesem Jahr und in den meisten Vorjahren seit 2010) und mit dem wesentlich höheren Schuldenstand, nämlich die USA, deutlich niedrigere langfristige Zinsen! Was ist folglich die Warnung des Anleihemarkts für Deutschland? Verschuldet euch bloß nicht zu wenig?

Irgendwie scheint der Handelsblatt-Mensch auch zu sehen, dass seine Argumentation nicht sehr überzeugend ist und hängt folgendes an:

„Der entscheidende Punkt ist das Wirtschaftswachstum. Ob nun wegen der Politik von Donald Trump oder vermutlich eher trotz seiner Politik: Die US-Wirtschaft wächst erstaunlich robust. Den steigenden Schulden steht also ein hohes Wirtschaftswachstum mit entsprechenden Staatseinnahmen entgegen.“

Typisch für die sprachliche Verdrückung der Vertreter der herrschenden Auffassung ist der letzte Satz: Auch wenn den steigenden Schulden höhere Staatseinnahmen gegenüberstehen, sind es immer noch steigende Schulden (für eine Berechnung der notwendigen US-Schulden, vgl. hier). Aber stellen wir uns einmal vor, die US-Wirtschaft würde wegen der Schulden wachsen (wie hier gezeigt). Dann wäre die Botschaft des Marktes absolut richtig. Dann rufen uns die Märkte zu: Macht ordentlich Schulden in Deutschland und Europa, weil ihr nur dann ein vernünftiges Wachstum erreichen könnt!