Klingbeil und die Brandstifter: Die Agendapolitik von Schröder war feige, Wiederholung ist tödlich 

(Dieser Artikel erscheint heute auch im Overton-Magazin)

Lars Klingbeil hat die Agendapolitik seines Vorgängers Schröder „mutig“ genannt. Welch ein Irrtum! Nein, die Agendapolitik von Rot-Grün war nicht mutig, sondern feige. Zudem war sie falsch, weil sie Deutschland auf ein Gleis geschoben hat, das sich spätestens jetzt als Abstellgleis erweist. Für die SPD war sie desaströs, weil sie aus ihr eine 15 Prozent Partei gemacht hat.

An diesem Irrtum des SPD-Vorsitzenden wird Deutschland noch lange zu knabbern haben. In der CDU formieren sich die radikal-neoliberalen Kräfte und die SPD glaubt an die Wiederholung von „Reformen“, die schon vor 20 Jahren nichts anderes waren als das Einknicken vor dem neoliberalen Mainstream und damit die Kapitulation vor der Aufgabe, eine rationale Wirtschaftspolitik zu versuchen. Gute Nacht Deutschland. 

Die Agenda war Mainstream in Reinform

Die Agendapolitik von Schröder war nur insofern „mutig“, als sie die vollständige Abkehr von dem Programm markierte, das die SPD vor dem historischen Wahlsieg von 1998 den Wählern in Deutschland versprochen hatte und wofür sie mit einem ganz außergewöhnlichen Wahlsieg belohnt wurde. Die Wahlversprechen gegen den ökonomischen Mainstream in Deutschland und gegen die Lobbyisten der Arbeitgeber durchzusetzen, das wäre wirklich mutig gewesen. Sich dem Mainstream zu ergeben und das abzukupfern, was die Vordenker des Mainstreams schon jahrelang gefordert hatten, war feige, billig und banal. 

Aber die SPD wäre nicht die SPD, wenn sie nicht wieder in die Falle laufen würde, die sie sich regelmäßig selbst stellt. Einerseits wollen die SPD-Mitglieder gerne zu den Gutmenschen gehören, die sich Gedanken über die Ärmsten in der Gesellschaft machen, die den Arbeitern eine geistige Heimat geben und den Reichen auch einmal zeigen, was eine Harke ist. Andererseits ist ihnen die Wirtschaft jedoch fremd. Sie wollen einfach nicht in die Niederungen der Ökonomik hinabsteigen, wo man sich mit den wirklich Mächtigen in diesem Land streiten müsste. 

Die Sozialdemokraten sind ja Sozialdemokraten geworden, weil sie kein anderes System wollen. Sie wollen ja die Marktwirtschaft und Marktwirtschaft heißt nun mal, dass die Unternehmer am besten wissen, was Sache ist. Die Vorstellung, die Unternehmen könnten das marktwirtschaftliche System fundamental missverstehen (wie hier gezeigt), ist dem Sozialdemokraten so fremd wie der Mars. Man muss mit den Unternehmern über Gehaltsprozente streiten, man muss ihnen ab und an mit höheren Steuern drohen, man muss von ihnen menschliche Arbeitsbedingungen fordern, aber mit den Unternehmern und ihren Verbänden darüber diskutieren, wie die Wirtschaft funktioniert, das ist abwegig. Das wissen die doch allemal besser als wir!

Die SPD kann die Volkswirtschaft nicht verstehen

Deswegen sind ernsthafte Volkswirtschaftslehre und die Sozialdemokratie dieses Jahrhunderts ein natürlicher Widerspruch. Und wehe, es verläuft sich mal einer von ihnen auf diesem Minenfeld (es gab mal einen Vorsitzenden, der es kurz vor der Jahrhundertwende wagte), dem kann niemand helfen, der ist einfach nicht zu retten. Mutig fühlt sich die SPD, wenn sie das Wort „Reichensteuer“ in die Runde wirft oder zu absonderlichen Vorschlägen der Konservativen „Bullshit“ sagt. Damit ist aber auch genug des Mutes. Wenn es zur Sache geht, dann muss man als Sozialdemokrat „vernünftig“ sein, dann muss man mal fünfe gerade sein lassen und akzeptieren, dass die Unternehmer und ihre liberal-konservativen Truppen die Führung im Felde übernehmen. 

Dass es jetzt zur Sache geht, ist keine Frage. Die Bundeswirtschaftsministerin hat sich eine Beratergruppe zusammengestellt, die dem Kettensägenmann aus Argentinien zur Ehre gereichen würde. Das Handelsblatt nennt das eine „Kampfansage“ an die SPD, aber die will das nicht einmal zur Kenntnis nehmen. Max Frischs Biedermann weiß, wie man mit so etwas umgeht: „Wenn man jedermann für einen Brandstifter hält, wo führt das hin? Man muss auch ein bisschen Vertrauen haben, Babette, ein bisschen Vertrauen“. Markus Linnemann will eine Agenda 2030, wie soll die SPD sich da widersetzen, es war doch (scheinbar) ihre geniale Idee, mit der Agenda 2010 Deutschland zu retten.

Jetzt rächt sich, dass die Partei in den vergangenen 20 Jahren niemals versucht hat, den eigenartigen Erfolg ihrer Agenda 2010 zu verstehen. Hätte man auch nur einmal ernsthaft darüber nachgedacht, wüsste man jetzt ganz genau, dass sich eine solche Operation nicht wiederholen lässt. Nur weil gerade die Europäische Währungsunion gegründet worden war, konnte man die europäischen Partner mit einer (relativen) Lohnsenkung überrumpeln. Die USA waren nach 9/11 ausschließlich auf die Bekämpfung des islamischen Terrorismus fokussiert und dachten nicht im Traum daran, die wenigen Freunde, die sie in der Welt hatten, wegen wirtschaftlicher Fragen zu kritisieren. 

Eine Wiederholung ist mehr als riskant

Nun ist alles anders. Zwar faselt man in Brüssel unter einer geistlosen (deutschen) Führung weiterhin von Wettbewerbsfähigkeit, aber Frankreich geht gerade jetzt in die Knie, weil es, anders als Deutschland, in den vergangenen zwanzig Jahren nicht das Ventil eines Leistungsbilanzüberschusses hatte, der es ihm erlaubt hätte, schwarze Nullen im Staatshaushalt zu produzieren (wie hier zuletzt gezeigt). Wohin will man das Land (und in ähnlicher Weise Italien) noch treiben, wenn das politische System schon jetzt dem Bersten nahe ist?

Trumps fact sheet, man muss es wiederholen, weil es in Deutschland von der Politik und den Medien total verdrängt wurde und wird, hat sogar explizit auf das deutsche Lohndumping abgestellt: „Länder wie China, Deutschland, Japan und Südkorea haben eine Politik verfolgt, die den Binnenkonsum ihrer eigenen Bürger unterdrückt, um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Exportprodukte künstlich zu steigern. Zu dieser Politik gehören regressive Steuersysteme, niedrige oder nicht durchgesetzte Strafen für Umweltzerstörung und Maßnahmen, die darauf abzielen, die Löhne der Arbeitnehmer im Verhältnis zur Produktivität zu drücken“.

Wer heute sagt, das interessiert uns nicht, wir machen es einfach noch einmal, ist blind oder total skrupellos. Die SPD muss sich jetzt schnell entscheiden, wohin sie gehen will. Ihr Untergang ist vermutlich nicht mehr abzuwenden, aber sie könnte dem deutschen Volk noch einen Dienst tun, indem sie die Brandstifter einfach Brandstifter nennt.