Bin ich ein Boomer? Eine persönliche Anmerkung zu einer absurden Generationendebatte

Marcel Fratzscher ist eigentlich Ökonom. Ihm fällt aber offensichtlich in seinem Fach nichts mehr ein. Was macht er, um Aufmerksamkeit zu erregen? Er befeuert eine Diskussion über eine Generation der „Boomer“, die an Absurdität kaum noch zu überbieten ist. Von den Medien wird das mit Freude aufgenommen, weil jeder, wirklich jeder Trottel eine Meinung dazu hat und sich gerne über die anderen echauffiert, obwohl er gar nicht weiß, wer die anderen sind. Außerdem kommt man mit einer so steilen These garantiert in jede Talkshow. 

Vermutlich bin ich ein Boomer. Alle, die nach dem Zweiten Weltkrieg geboren sind und ein paar gute wirtschaftliche Jahre erlebten, sind Boomer. Sie haben viel Geld verdient, aber den Planeten in Brand gesteckt. Heute leben nur arme Schweine, die keine Zukunft haben. Weil die Boomer zwar gut lebten, aber ansonsten alles versaut haben, müssen sie heute abgestraft werden, so die geniale These. Sie dürfen nicht so viel Rente bekommen, müssen ein soziales Jahr im hohen Alter ableisten und dürfen von den Jungen jederzeit wie Idioten behandelt werden. In der Süddeutschen Zeitung gab es eine Erwiderung auf diese lächerlichen Anwürfe, die „Wir Halunken“ überschrieben war. Das trifft den Punkt. 

Was habe ich eigentlich persönlich so falsch gemacht, dass mich der Rundumschlag dieses geistig unterbeschäftigten Berliner Ökonomen trifft? Ich habe mich schon in meiner Diplomarbeit im Jahr 1974 (da war der Herr gerade geboren) mit der Möglichkeit der Menschen auseinandergesetzt, den Planeten zu retten. Ich habe 1982, da war der Herr Fratzscher noch in der Schule, über Umwelt und Wirtschaft geschrieben und gezeigt, dass vieles möglich wäre, wenn die Ökonomen nur besser ausgebildet und klüger wären. 

Ganze 16 Jahre meines Lebens habe ich damit verbracht, mich der Orthodoxie der Deutschen Bundesbank und einer von einem Pfälzer geführten Bundesregierung entgegenzustellen, die – unterstützt von den „großen Ökonomen“ – in unglaublicher Naivität eine geistig-moralische Wende hinlegten und wirtschaftspolitisch jeden Fehler machten, den man nur machen konnte. Als Kohl 1990 eigentlich schon am Ende war, kamen die Ostdeutschen und retteten ihn (wieder ohne jeden Verstand), weil sie endlich so etwas wie Boomer werden wollten. Wieder hielt ich mit allem, was ich hatte, dagegen, weil ich ahnte, dass die Tietmeyers und Schäubles die Ossis über den Tisch ziehen werden – umsonst.

Kaum hätte sich in Deutschland etwas ändern können, war es schon wieder vorbei. Diesmal kam, unterstützt von mir, ein Hannoveraner an die Macht. Der aber wollte, wie sich nach kurzer Zeit zeigte, nur der Wirtschaft und nicht der Gesellschaft dienen. Folglich macht er alles, was ihm die Unternehmerlobby ins Gästebuch schrieb. Wieder war ich in der geistigen Opposition. 

Dann hatten die Boomer in Deutschland 16 Jahre unter einer märkischen Hausfrau und einem schwäbischen Hausmann zu verbringen, die nichts im Sinn hatten, als schwarze Nullen zu produzieren. Mich hätte das vermutlich um den Verstand gebracht, wäre ich nicht längst ins Ausland entflohen gewesen. 

Über die Ampel und die jetzige Regierung muss man kein Wort verlieren, ich bin für sie so wenig verantwortlich wie für all die politischen Laienspieler vorher. Was also habe ich, der Boomer, falsch gemacht? 50 Jahre geistige Opposition und ich soll dafür einstehen, dass vieles nicht so gelaufen ist, wie es hätte laufen können? Welch ein grandioser Unsinn! 

Die ganze Generationendebatte ist Unsinn, weil es nicht die Generationen waren, die entschieden haben, sondern politische Funktionäre, ihre ökonomischen Berater und die Lobbyisten, die mehr oder weniger zufällig von einem politischen System in ihre Ämter gespült worden sind, das keineswegs so harmonisch funktioniert, wie es den Kindern immer wieder erzählt wird. 

Marcel Fratzscher sollte einfach schweigen, wenn ihm nichts Besseres einfällt, als Generationenkonflikte anzuschüren. Die Debatte richtet Schaden an. Es ist schwer genug, den jungen Generationen wenigstens einen Eindruck davon zu vermitteln, wie sich komplexe Systeme im Zeitverlauf entwickeln und wo wer für was verantwortlich sein könnte. Pauschale Verurteilungen machen diese Vermittlung unmöglich. Die Generation als solche ist für nichts verantwortlich. Und ich verwahre mich dagegen, von irgendwelchen dahergelaufenen Leuten mit einem blöden Namen belegt zu werden, der mich mit all denen, die ich mein Leben lang intellektuell bekämpft habe, in einen Korb schmeißt.