Keine Sorge, ich lese den Spiegel nicht. Ich habe einfach nicht genug Geld, um mir so etwas zu leisten. Manchmal schaue ich aber die Titelzeilen an und auch da erlebt man schon Erstaunliches. Dort schreibt z. B. ein gewisser Henrik Müller über Wirtschaft. Auch dessen Kommentare will ich nicht lesen, aber diesmal sind seine ersten drei Zeilen, die frei verfügbar sind, einfach genial. Unter dem Titel „Die Macht des Trübsal-Index“ (keine Ahnung, was dieser Index sein soll) steht:
„Die deutsche Wirtschaft stagniert, und allmählich schlägt der Dauerstillstand auf den Arbeitsmarkt durch. Steht die nächste Jobkrise bevor? Die Auswirkungen auf die politische Stimmung im Land könnten gravierend sein.“
Dauerstillstand in der deutschen Wirtschaft, die allmählich auf den Arbeitsmarkt durchschlägt! Das ist nicht von dieser Welt. Der Mann hat genau dreieinhalb Jahre keine Statistik angeschaut und will uns jetzt sagen, was Sache ist.
Genau seit dreieinhalb Jahren steigt in Deutschland die Arbeitslosigkeit und die Zahl der offenen Stellen sinkt ebenfalls genau seit dem Zeitpunkt. Seit dreieinhalb Jahren sinken auch die Auftragseingänge bei der deutschen Industrie, die immer noch der wichtigste Frühindikator für die deutsche Wirtschaft sind (wie hier im Detail dargelegt). Auch die Produktion im produzierenden Gewerbe sinkt, wie heute Vormittag in einem Beitrag auf dieser Seite gezeigt, seit dem dritten Quartal 2022 fast ohne Unterbrechung.
Seit dem 30. Juli 2025 wissen alle halbwegs informierten Menschen auch, dass das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands die längste Rezession seiner Geschichte hinter sich hat, weil das BIP ebenfalls fast durchgehend seit dem dritten Quartal 2022 gesunken ist (hier ein Kommentar dazu).
Logisch, wenn man klare Vorurteile hat und beispielsweise fest an den „extremen Fachkräftemangel“ in Deutschland glaubt, braucht man keine andere Statistik anzuschauen und kriegt auch nicht mit, dass jedes Jahr zehntausende Fachkräfte auf die Strasse gesetzt werden. Wenn man sich weitgehend beim Spiegel informiert, weiß man leider nicht „was ist“ und läuft leicht in eine solche Falle. Wenn man Kolumnen schreibt, das nur als kleiner Ratschlag, sollte man allerdings versuchen, wenigstens die ersten drei Zeilen unfallfrei zu überstehen. Dem Spiegel rate ich, sein Motto umzuschreiben: Nicht, „Sagen, was ist“, sondern „Sagen, was sein sollte“.