Es ist atemberaubend, wie schnell sich manchmal die Dinge und die Ansichten darüber ändern. Wurde gestern noch ein Finanzminister der CDU dafür gefeiert, dass er sich wörtlich zur schwarzen Null machte, wird man heute in Deutschland überrollt von Ansichten, die genau das Gegenteil behaupten und gar nicht genug bekommen können von staatlichen Schulden, die den staunenden Wählern als „Sondervermögen“ verkauft werden. Zu Recht meint die Süddeutsche Zeitung, es sei an der Zeit, „einmal grundlegend zu klären, wie das genau funktioniert mit dem Staat und den Schulden“.
In der Tat, es ist an der Zeit. Doch in München glaubt man, es genüge ein Ortsgespräch, um alles Wissenswerte über die staatlichen Schulden herauszufinden. Man fragt den Chef vom ifo-Institut und schon weiß man Bescheid. Das ist ein Irrtum. Clemens Fuest ist Finanzwissenschaftler und die deutschen Finanzwissenschaftler (das sind die Volkswirte, die sich mit dem Staat und seinen Finanzen beschäftigen) wissen traditionsgemäß genau zu der Frage, „wie das genau funktioniert“, absolut nichts zu sagen. Und die übrigen Volkswirte glauben den Finanzwissenschaftlern, denn wozu hat man das Fach geschaffen, wenn nicht zur Klärung dieser Frage.
Und so kommt bei der „grundlegenden Klärung“ der SZ genau das heraus, was die halbwegs Aufgeklärten schon immer wussten: Der Staat ist keine schwäbische Hausfrau (immerhin!), staatliches Sparen kann negative Folgen haben (Brücken usw.), Investitionen darf man per Kredit finanzieren und der Schuldenberg ist zwar groß, muss aber nicht zurückgezahlt werden. Das ist ein wenig mehr, als man üblicherweise hört, doch die „Aufklärung“ der SZ geht an allem vorbei, was wirklich wichtig ist.
Die Schulden und das Sparen
Man mag es sich gar nicht vorstellen: Der staatliche Schuldenberg der gesamten Welt, das hat vor Kurzem der IWF ausgerechnet, hat inzwischen die wunderbare Größe von 100 Billionen US-Dollar erreicht. Das heißt, die Staaten der Welt haben genau um diese exorbitante Summe über ihren Verhältnissen gelebt. Das muss ja schiefgehen – oder?
Ich habe im Herbst vergangenen Jahres dazu geschrieben:
„Wer angesichts solcher Bedrohungsszenarien und der unvorstellbar großen Zahlen noch nicht vom Hocker gefallen ist, sollte einfach einen Moment nachdenken. Wenn die Staaten der Welt um 100 Billionen über ihren Verhältnissen leben, also mehr ausgeben, als sie einnehmen, wer lebt dann und um wieviel genau unter seinen Verhältnissen, gibt also weniger aus als er einnimmt?
Die Antwort ist furchtbar einfach: Die privaten Haushalte der Welt und die Unternehmen der Welt zusammengenommen leben um genau 100 Billionen unter ihren Verhältnissen, denn die Welt insgesamt kann ja nicht mehr tun, als entsprechend ihren Verhältnissen zu leben, und andere Akteure gibt es einfach nicht.
Nun muss man nur eine einzige Frage beantworten, um zu einem fundierten Urteil über die Staatsschulden zu kommen. Haben die privaten Haushalte und die Unternehmen freiwillig gespart, also unter ihren Verhältnissen gelebt, oder hat der Staat sie dazu gezwungen? Auch die Antwort kann nicht umstritten sein: Niemand zwingt die Haushalte und die Unternehmen dazu, einen Teil ihrer Einnahmen nicht wieder auszugeben, sondern zur Bank oder auf die Kapitalmärkte zu tragen und auf eine Verzinsung zu warten.
Wer aber freiwillig sein Geld auf den Kapitalmarkt trägt, erwartet offenbar, dass es dort Akteure gibt, die bereit sind, über ihre Verhältnisse zu leben, Kredite aufzunehmen, das aufgenommene Geld zu investieren und aus der Rendite der Investition Zinsen für die Sparer zu bezahlen. Wer jedoch sollte dieser Akteur im globalen Maßstab sein, wenn sowohl die privaten Unternehmen als auch die privaten Haushalte es vorziehen, auf der Sparerseite zu stehen?“
Aber woher nimmt der Staat die Zinsen, die er auf seine Anleihen bezahlt, fragen an der Stelle viele, auch wohlmeinende Beobachter verzweifelt? Da der Staat keine anderen Einnahmen hat als Steuern und Schulden, muss er die Zinsen genau daraus bezahlen. Im Endeffekt nimmt er via Steuern die Ausgaben für die Zinsen von denen, denen er die Zinsen auf die Anleihen bezahlt, eine andere Quelle gibt es nicht. Da die begüterten Bürger zum Teil extrem hohe Sparquoten haben (70 bis 80 Prozent sind sicher keine Ausnahme), weil sie wirklich nicht wissen, was sie mit ihrem Geld machen sollen, bekommen sie einen Großteil der Zinsen, die der Staat zahlt. Das spricht eindeutig dafür, diese Gruppe viel stärker am Steueraufkommen zu beteiligen, als das derzeit der Fall ist. Dann zahlen sie wenigstens einen Großteil der Zinsen selbst.
Das Tolle in unserer Gesellschaft ist, dass auch Menschen mit extrem hohen Sparquoten wie selbstverständlich davon ausgehen, dass sie praktisch jede Summe zu den Kapitalmärkten tragen können und gewissermaßen ein Anrecht darauf haben, die auch verzinst zu bekommen. Wenn es aber um die Staatsverschuldung geht, kann man sicher sein, dass die gleichen Menschen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn jemand fordert, die Staatsverschuldung müsse steigen. Sie schreien dann, der Staat könne sowieso nicht mit Geld umgehen und nun wolle er auch noch Geld ausgeben, das er nicht hat, anstatt sich mit dem zu bescheiden, was er über die (viel zu hohen) Steuern einnimmt.
Hätten wir halbwegs kompetente Politiker, würde sich niemand trauen, einen solchen Unfug zu verbreiten. Begreifen wir nicht bald, dass das Sparen das Problem ist und die Schulden die Lösung (wie hier zuletzt gezeigt), sind wir grundsätzlich nicht mehr in der Lage, unsere wirtschaftlichen Probleme in den Griff zu bekommen.
Das ist das kleine Einmaleins der Schulden. Wer das nicht beherrscht, braucht über Schulden nicht zu schreiben. Staatliche Schulden entstehen niemals im luftleeren Raum. Dem staatlichen Schuldenberg, auf dem wir laut SZ alle sitzen, entspricht ein Sparberg, der exakt genauso groß ist. Und den Sparberg kann es nicht geben, wenn es den Schuldenberg nicht gibt. Versucht man zu sparen, ohne dass jemand bereit ist, sich zu verschulden, sinkt unser aller Einkommen und die Versuche der Sparer gehen ins Leere. Das könnte man, wäre man nicht total ideologisch verbohrt, selbst in München wissen, in einer großen Zeitung ebenso wie beim ifo-Institut, weil dieses Wissen inzwischen fast einhundert Jahre alt ist.