Diese Bundesregierung ignoriert nicht nur die Rechtsprechung, sie ignoriert auch das Wissen. Deutlich wird das in einer interessanten Sequenz aus der Bundespressekonferenz, bei der Thilo Jung den Sprecher der Bundesregierung, Stefan Kornelius (früher Süddeutsche Zeitung), fragt, auf welche Kenntnisse oder wissenschaftlichen Belege sich die Ansicht der Bundesregierung stützt, dass die geplante Steuersenkung für die Unternehmen die Investitionstätigkeit und das Wachstum belebt.
Die Antwort könnte entlarvender nicht sein. „Natürlich“, sagt der Regierungssprecher, wird die Steuersenkung die Investitionstätigkeit und damit das Wirtschaftswachstum anregen. „Das weiß doch jeder“ hätte er auch sagen können. Das sagt uns doch jeder Lobbyist, wäre noch ehrlicher gewesen. Er wolle auch keine volkswirtschaftliche „Grunddebatte“ führen, aber die Bundesregierung stütze sich auf viele Expertisen, die den Zusammenhang belegen.
Wüsste der Regierungssprecher allerdings, unter welchen Voraussetzungen die sogenannte Wirtschaftswissenschaft üblicherweise ihre Ableitungen durchführt, hätte er nicht von Expertise gesprochen. Ceteris Paribus ist dabei nämlich die entscheidende Annahme. Wenn alles andere sich nicht verändert, prüft man, ob eine Maßnahme wirkt oder nicht. Leider gibt es genau das nicht in dieser Welt. Immer ändert sich alles. Die große Mehrheit der akademisch arbeitenden Volkswirte hat einfach keine makroökonomische Expertise, weil sie die Dynamik einer Volkswirtschaft, bei der sich alles zugleich verändert, nie zu verstehen versucht hat.
Auch jeder normale Mensch, den man dazu befragt, isoliert gedanklich erst einmal den Vorgang und kommt dann zu dem Ergebnis, Steuersenkungen müssten positive Wirkungen haben. Wenn der Staat einer Gruppe der Volkswirtschaft etwas Gutes tut, kann doch hinten nichts Schlechtes rauskommen. Wenn der Staat meine Steuern senkt, bin ich doch auch froh und gebe mehr Geld aus, weil ich einfach mehr Geld zur Verfügung habe.
Würde man eine repräsentative Umfrage in der deutschen Bevölkerung machen, käme man sicher zu dem Ergebnis, dass 80 oder 90 Prozent sagen, klar, wenn die Steuern für die Unternehmen sinken, wird mehr investiert. Schon die einfache Zusatzfrage, woher denn das Steuergeld kommt, mit der die Steuersenkung finanziert wird, würde aber vermutlich die Hälfte der Befragten stutzig machen. Würde man der anderen Hälfte noch erklären, dass die höheren Steuern, mit denen man die Steuersenkung für die Unternehmen finanziert, letztlich immer den Unternehmen unmittelbar schaden (wie hiererklärt), wäre auch die in ihrem Glauben erschüttert.
Daraus folgt: Wenn man überhaupt etwas über die Wirkung von Steuersenkungen für Unternehmen sagen will, muss man zumindest dazu sagen, wie sie finanziert werden. Ohne diese Aussage, ist von vornherein jede Behauptung über eine positive Wirkung glatter Unsinn. Geschieht die Finanzierung aus Steuermitteln, kann man sich die Steuersenkung gleich schenken, weil sie mit Sicherheit nichts bewirkt. Nur wenn die Steuersenkung zu einhundert Prozent durch neue Schulden finanziert würde, könnte man überhaupt hoffen, dass sie etwas bewirkt. Aber auch dann gelten die Einwände, die z. B. hier aufgeführt sind.
Daraus folgt auch: Man braucht, anders als Tilo Jung glaubt, keine Studien, um herauszufinden, ob Steuersenkungen wirken. Man muss nur ein wenig nachdenken und die richtigen Fragen stellen. Die Finanzierungsfrage ist die entscheidende. Wenn die Bundesregierung an ihrem strikten Sparkurs festhält und selbst die in Aussicht gestellten (schuldenfinanzierten) Infrastrukturmaßnahmen sowie die Steuersenkungen an anderer Stelle (beim Bürgergeld zum Beispiel und im Sozialetat insgesamt) wieder einspart, hat die Steuersenkung für die Unternehmen niemals eine positive Wirkung auf die Investitionstätigkeit.
Übrigens, wer die Rechtsprechung und das Wissen ignoriert, befindet sich auf einem gefährlichen Weg. Wer wissen will, wohin der führt, muss nur das nachlesen, was die deutschen Medien über Donald Trump verbreiten.