Schon wieder: Steuern für die Unternehmen senken, die SPD begreift es vor ihrem Untergang nicht mehr 

Die SPD will die Unternehmenssteuern senken. Man gönnt sich ja sonst nichts. Bei ihrem verzweifelten Versuch, sozialdemokratisch zu sein und zugleich das zu tun, was die herrschende neoliberale Lehre verlangt, landet die SPD immer wieder bei den Unternehmenssteuern. Klar, die Steuern für die Reichen senken, das kann die SPD nicht so offen fordern wie die Konservativen und die Neoliberalen es tun. Der Slogan „Leistung muss sich wieder lohnen“, ist wirklich zu abgenutzt.

Aber bei den Unternehmen, da ist alles anders! Da gibt es keine Reichen und jeder Euro, den man Ihnen erlässt, wird sofort investiert und damit werden neue Arbeitsplätze schaffen. Also schafft die SPD unmittelbar Arbeitsplätze und das ist doch gut! Ein berühmter Quasi-Sozialdemokrat (das ist einer, der sich lange Jahrzehnte als Sozialdemokrat tarnt, aber nie einer gewesen ist, wie der berühmte Wolfgang Clement) hat das auf den schönen Satz verkürzt, dass alles, was Arbeit schafft, auch sozial sei. Das kann Lars Klingbeil sofort unterschreiben.

Einen Artikel über Wirtschafts-und Finanzpolitik zu schreiben, ist heutzutage wirklich einfach: Man recycelt ein Stück, das man vor zehn oder vor zwanzig Jahren geschrieben hat, denn es stimmt noch Wort für Wort. Im Jahr 2013 habe ich über Unternehmenssteuern geschrieben, als ein Dogma, dass gegen jede Vernunft verteidigt wird. Daraus einige Auszüge und eine unglaublich vielsagende Graphik.

„Über kein Thema wird emotionaler geredet als über die Steuern…Man kann sich heute kaum noch vorstellen, wie groß der Druck war, den die Lobby der Unternehmen und der Wohlhabenden in den 80er und 90er Jahren in Sachen Steuersenkung gemacht hat. Damals war selbst die 1998 neugewählte Rot-Grüne Regierung mit einem Bundesfinanzminister Lafontaine nicht in der Lage, sich diesem Druck zu entziehen und souverän darüber zu entscheiden, ob eine Steuersenkung gerechtfertigt ist oder nicht. Inzwischen wissen wir allerdings, dass keins von den Wunderdingen eingetreten ist, die damals von der Lobby versprochen worden sind. Weder ist …die Investitionstätigkeit durch die Decke gegangen, noch haben die „Leistungsträger“ dafür gesorgt, dass in Deutschland die Produktivität dank ihrer Ideen und ihrer Kreativität kräftig steigt.

Wesentlich gravierender als die Senkung der Einkommenssteuer aber war unter Rot-Grün zu Anfang dieses Jahrhunderts die „Entlastung“ der Unternehmen. Und das ist auch der Bereich, an den sich … niemand wirklich herantraut. Höhere Steuern für Unternehmen sind erfolgreich zu einem Tabu erklärt worden, weil es der Lobby gelungen ist, die Unternehmen zu einem Subjekt zu verklären, das nur Gutes tut und immer unter mörderischem Wettbewerbsdruck aus dem Ausland steht. 

Das ist dann auch geschehen. Rot-Grün senkte die Unternehmenssteuern in einem bis dahin nicht für möglich gehaltenen Ausmaß. Die Abbildung zeigt die unglaubliche Dimension der Verringerung der Unternehmenssteuern (hier ausgewiesen für Kapitalgesellschaften) zu Anfang des Jahrhunderts. In mehreren Steuerreformen wurde die Belastung aus Körperschafts- und Gewerbesteuer (in Prozent der Gewinne) zusammen fast halbiert. Unmittelbar danach, als das deutsche Lohndumping (die reale Abwertung) gegenüber den europäischen Partnern zu greifen begann, explodierten auch noch die Einkommen der deutschen Unternehmen. Die Gewinne (in Prozent des Bruttoinlandsprodukts) erhöhten sich bei niedrigen Löhnen und einem ungeahnten Absatzboom auf den Auslandsmärkten in einem nie zuvor gesehenen Tempo. 

Insofern realisierte die Politik exakt das, was die sogenannte Angebotstheorie über Jahre, ja über Jahrzehnte gefordert hatte. Bei den Löhnen und bei den Steuern wurden die Unternehmen in Deutschland „entlastet“. Doch die scheinbare Bürde, die man von ihren Schultern nahm, brachte sie nicht zum Laufen. Wenn in der Angebotstheorie auch nur ein Fünkchen Wahrheit steckte, hätten die Investitionen in Deutschland abheben und die Wirtschaft über viele Jahre tragen müssen. Aber nichts dergleichen geschah. Die Investitionsquote stieg im ersten Jahrzehnt ganz leicht von einem extrem niedrigen Niveau, nur um nach der Finanzkrise von 2008 schon wieder auf einen historischen Tiefstand zu sinken und dort nahezu zu verharren. 

Im Gefolge der „Entlastung“ der Unternehmen aber ergab sich das größte strukturelle Problem, das Deutschland heute hat: die Unternehmen insgesamt haben zu viel Geld, weil sie extrem hohe Gewinne im Außenhandel machen, aber wegen der dadurch ebenfalls ausgelösten Binnenmarktschwäche zu wenig investieren. Man kann das leicht erkennen, wenn man sich die Finanzierungssalden der einzelnen Sektoren anschaut, also deren Spar- und Verschuldungsverhalten, das sich, weil das Ausland enthalten ist, immer genau zu Null aufaddieren muss. 

(Ich füge hier ein neues Bild aus meinem Grundlagenbuch ein).

Die Unternehmen weisen schon seit einigen Jahren einen positiven Saldo auf, was heißt, dass sie Nettosparer sind. Das steht in krassem Gegensatz zu den Jahrzehnten zuvor, aber insbesondere zu den Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders in den 50er und 60er Jahren, wo die Unternehmen als Schuldner den Hauptgegenposten zum Sparen der privaten Haushalte darstellten. Es sollte auch die normale Rolle der Unternehmen in einer Marktwirtschaft sein, als Investor und damit als Schuldner für eine sinnvolle Verwendung der Ersparnisse zu sorgen….

Diese gravierende Fehlentwicklung zeigt, dass die Angebotspolitik vollständig falsch war. Es ist einfach nicht sinnvoll, Unternehmen in einer Marktwirtschaft ohne die Gegenleistung der Investition Gewinne zuschieben zu wollen, wie das mit den Steuersenkungen intendiert war. Entweder es misslingt unmittelbar oder es misslingt über den Umweg des Auslandes. Wenn der Staat sofort bei seinen Ausgaben einspart, was er den Unternehmen durch Steuersenkung zuschieben will, wird es nicht gelingen, die Gewinne und die Investitionstätigkeit zu erhöhen, weil die Nachfrage sinkt. Nur wenn der Staat seine Verschuldung erhöht, um die Steuersenkung zu finanzieren, hat das einen direkten positiven Gewinneffekt. Der muss aber keineswegs zu einem positiven Investitionseffekt führen. Wenn gleichzeitig jedoch andere retardierende Effekte auftreten, wie in Deutschland die Lohnsenkung, die die Binnenmarktdynamik vollständig zum Erliegen brachte, stecken die Unternehmen die Steuersenkung in die Tasche, ohne mehr zu investieren.“

Soweit der Text aus dem Jahr 2013. 

Die SPD heute leidet, genauso wie die SPD vor 25 Jahren, an ihrer totalen wirtschaftspolitischen Inkompetenz. Steuersenkung für Unternehmen ist der Beweis. Selbst der jetzt angedachte Investitionsbooster in Form von erleichterten Abschreibungen wird kaum eine Wirkung entfalten, so lange die Nachfrage in der gesamten Volkswirtschaft so schwach bleibt, wie sie derzeit ist. Unternehmen investieren nicht auf Teufel komm raus, wenn ihre vorhandenen Kapazitäten nicht ausgelastet sind. Erreichen wird man nur, dass Investitionen vorgezogen werden, die ohnehin anstehen. Das wird man dann als Investitionsboom verkaufen. 

Das Dilemma der SPD wird nie weggehen. Man müsste über Nachfrage reden, man darf es aber nicht. Erhard Eppler, der große sozialdemokratische Vordenker, wusste es schon in den 1970er Jahren: Die SPD muss über Keynes hinaus! Doch leider haben die letzten 50 Jahre nicht gereicht, eine Position zu finden, die den Sozialdemokraten hilft, sich von Keynes zu emanzipieren. Was nun? Nochmal 50 Jahre warten? Dann wird es keine Sozialdemokratie mehr geben. Der krampfhafte Versuch der vergangenen 25 Jahre, über Keynes hinaus zu kommen, hat die SPD von 40 auf 15 Prozent geschrumpft. Jetzt reichen vermutlich schon acht Jahre, um die SPD dahin zu bringen, wo ihre französischen Sozialistenkollegen schon sind: Ins endgültige politische Abseits.