Ein Gastbeitrag von Joachim Nanninga
Heiner Flassbeck hat mir nach meinem letzten Artikel heftige Vorhaltungen gemacht, die ich nicht unbeantwortet lassen will. Zunächst zu einzelnen Punkten seiner Replik, dann zur zentralen Frage nach der ökonomischen Bedeutung der Verbindlichkeiten der Zentralbank und ihrer Relevanz oder vermeintlichen Irrelevanz.
- Vermögensaufbau bei der SNB (Schweizer Nationalbank) durch Aufbau einer sehr großen Position von UST (amerikanischen Staatsanleihen)
Das stellt zweifellos ein sehr großes Brutto-Vermögen der SNB dar. Das Eigenkapital der SNB ist durch den Kauf allerdings nicht unmittelbar gewachsen, weil den Aktiva der UST eine zunächst gleich große Verbindlichkeit gegenübersteht (Gutschriften zugunsten der Geschäftsbanken, die die Papiere eingeliefert haben).
- Erträge durch Zinseinkünfte durch die UST?
Zweifellos hat es aufgrund dieses Brutto-Vermögens diese Erträge gegeben. Ob das Vermögen (Eigenkapital) der SNB gewachsen ist, muss allerdings in einer Gesamtbetrachtung über mehrere Jahre beurteilt werden – bis zum Zeitpunkt wo die UST wieder abgegeben werden. Flassbeck macht diese Betrachtung nicht, deutet sie nur an und berücksichtigt nicht, dass die Bilanzposition der UST in dieser gigantischen Höhe ein gigantisches Risiko einschloss: eine nötige Neubewertung der UST aufgrund der Franken-Aufwertung, der sich die Schweiz schließlich nicht mehr verschließen wollte. In der Gesamtbetrachtung halten sich Erträge und Kosten etwa die Waage. Flassbecks Replik erweckt einen anderen Eindruck.
- Buchhaltung als Vernebelung?
Flassbeck sagt: „Das alles verschwindet bei einer Sichtweise, die sich auf die doppelte Buchführung stützt.“: Ich sehe die Erträge durchaus, gerade bei korrekter Buchhaltung verschwinden sie nicht!, ich halte es aber für falsch, die Kosten unter den Tisch fallen zu lassen.
„Es ist offenbar so, dass die buchhalterische Sichtweise einerseits Dinge erscheinen lässt (wie die berühmten Target-2-Salden), die ökonomisch nicht sinnvoll interpretiert werden können“ Gerade bei Target zeigt sich die analytische Stärke korrekter Buchführung: Die korrekt gebuchten Target-Salden (z. B. Forderungen der Bundesbank gegen die EZB) lassen sich ökonomisch absolut sinnvoll interpretieren: in weiten Teilen als ein Ergebnis des deutschen Leistungsbilanzüberschusses im Euroraum.
- Macht der Zentralbank
Flassbeck hält mir vor: „Die buchhalterische Sichtweise überdeckt offensichtlich auch, und da wird es sehr bedenklich, wie groß die Macht der Zentralbank in einem Papiergeldsystem ist. Das gilt auch für die Machtverhältnisse zwischen Banken und Zentralbank. Geht man wie Nanninga an das Geldsystem heran, unterschätzt man die Bedeutung der Zentralbank im Verhältnis zu den Banken in grandioser Weise.“ Wie ich im Weiteren zeigen werde, ist die Zentralbank die zentrale Machtgröße im modernen Geldsystem, und das bei oder trotz doppelter Buchführung.
- Geschäftsbanken kaum von Bedeutung?
Flassbeck: „Aber die Geldschöpfung der Banken ist ökonomisch kaum von Bedeutung.“ Ohne das Kreditgeschäft der Geschäftsbanken würde die Maschinerie unserer Ökonomie sofort in Stockung geraten. Die Geldpolitik bestimmt die Zentralbank. Spekulatives Investment der Geschäftsbanken kann Einfluss auf den nominalen Wechselkurs haben.
- Zentralbank keine Clearingstelle?
„Die Zentralbank ist nicht Clearing-Stelle, wie es aus buchhalterischer Sicht erscheint, sondern sie ist der entscheidende Spieler im Geldsystem.“
Wieso sollte sich das ausschließen?! Über ihre Konten bei der Zentralbank führen die Geschäftsbanken mit ihrer Zentralbank-Liquidität ihr Clearing aus. Nur durch Zugang zur Zentralbank ist den Geschäftsbanken dies möglich. Die Zentralbank steuert u. a. über die Refinanzierungsbedingungen für die Geschäftsbanken den Geldmarkt.
- Per Zufallsgenerator an die Privathaushalte?
„Die Zentralbank kann das Geld, das sie unter die Leute bringen will, … per Zufallsgenerator an beliebige Konten von Privathaushalten überweisen. Dazu braucht sie überhaupt keine Banken.“
Nein! Das kann sie nicht, selbst wenn sie es wollte, weil Private gar kein Konto bei der Zentralbank haben. Die Geschäftsbanken sind unverzichtbar, wenn die Zentralbank nicht selbst Geschäftsbank sein will.
- Verbindlichkeiten der Zentralbank nur Fiktion??
„Dann ist es auch offensichtlich, dass die Verbindlichkeit, die von der Zentralbank gegen das Geld gebucht wird, eine Fiktion ist. Denn die entsprechende Forderung, die ja dann in den Händen der Bürger liegen müsste, gibt es nicht. Niemand kann von der Zentralbank verlangen, gegen das von ihr gelieferte Geld etwas anderes als wiederum das gleiche Geld zu erhalten, dessen intrinsischer Wert null ist.“
Früher erhielt man im Austausch Gold. Heute kann aber jeder mit Zentralbankgeld als Bargeld schuldbefreiend zahlen. Die Geschäftsbanken können mit Zentralbankgeld ihre Interbankengeschäfte abwickeln, Steuerzahlungen ihrer Kunden weiterleiten, bei der Zentralbank „pensionierte“ Assets wieder auslösen, Bargeld zur Versorgung ihrer Kunden besorgen. Das Zentralbankgeld ist das Lebenselixier der Geschäftsbanken. „Intrinsischer Wert“ ist mir als ökonomische Kategorie nicht bekannt, selbst für Gold nicht! Fünf Euro sind genau das wert, was ich mit ihnen bezahlen kann.
- Irreführung durch Saldenmechanik?
„Ja, die Saldenmechanik führt sogar in die Irre, wenn man sich nicht von vorneherein ihrer begrenzten Aussagekraft bewusst ist.“ Mir ist gar nicht bekannt, dass die Saldenmechanik überhaupt eine Aussagekraft hätte! Ihre „Aussagen“ sind formal-logisch betrachtet tautologisch oder wie die Logiker sagen: analytisch. Sie haben keinerlei empirische Erklärungskraft! Wer gegen ihre trivialen Identitäten verstößt oder sie als Kausalitäten ausgibt, betreibt Irreführung, wie ich jüngst am Beispiel von Münchau gezeigt habe.
- Relevanz oder Irrelevanz der Verbindlichkeiten der Zentralbank
Heiner Flassbecks zentrale Frage an mich lautet: Ist es berechtigt, die Verbindlichkeiten der Zentralbank wie die Verbindlichkeiten eines normalen Wirtschaftssubjekts zu verbuchen und entsprechend ökonomisch zu interpretieren. Flassbeck sagt „Nein“ und meint, ich würde mit „Ja“ eine Gegenposition bezogen haben. Ich sage aber ebenfalls „Nein“.
Meine Begründung lautet: Wer Zentralbankverbindlichkeiten ökonomisch wie gewöhnliches Fremdkapital behandelt, verkennt ihre zentrale Funktion im modernen Geldsystem. Aus einem einfachen Grund: sie sind ökonomisch gesehen etwas vollkommen anderes. Formal buchhalterisch gesehen sind sie selbstverständlich Verbindlichkeiten und sind deshalb in der Bilanz sogenannte „Passiva“ oder auch „Fremdkapital“, was denn sonst?
Die Verbindlichkeiten der Zentralbank werden jedoch von allen Wirtschaftssubjekten, erst recht von allen direkten Transaktionspartnern einer Zentralbank mit vollem Recht vollkommen anders bewertet als die Verbindlichkeiten normaler Wirtschafter. Wer eine Forderung gegen einen normalen Wirtschafter hält (=Verbindlichkeit dieses normalen Wirtschafters), macht dies im normalen Wirtschaftsleben aus wirtschaftlichen Interessen, z. B. höhere Verzinsung als Festgeldzinsen bei der Bank oder Lieferantenkredit als industrieller Hersteller, der seinen Absatz fördern möchte. Sofortzahlern räumt er einen Skonto ein. Wer einen höheren Bedarf an finanzieller Sicherheit hat oder einen Zahlungsabfluss plant, ist dagegen daran interessiert, seine Geldforderung gegen eine Bank zu halten. Verbindlichkeiten einer Bank (nicht nur der Zentralbank) sind eben etwas vollkommen anderes als Verbindlichkeiten normaler Wirtschafter: Sie sind Zahlungsmittel und können sofort zur Schuldentilgung eingesetzt werden.
Gibt es hier einen großen Unterschied zwischen den Verbindlichkeiten einer Geschäftsbank (=Giralgeld) oder denen der Zentralbank (für normale Wirtschafter = Bargeld: Münzen und Zentralbanknoten)? Ja: Geschäftsbanken müssen abgewickelt werden, wenn sie insolvent werden und nicht rekapitalisiert werden. Eine Zentralbank kann dagegen nicht insolvent werden, es sei denn der Staat, dem sie gehört, ginge unter.
Unser Wirtschaftsleben ist ohne das Giralgeld der Geschäftsbanken nicht mehr denkbar. Grundsätzlich ist es für normale Wirtschafter möglich, es „jederzeit“ in Zentralbankgeld umzutauschen. Die mit Bargeld (=Zentralbankgeld) getätigten Umsätze machen aber nur einen kleinen Bruchteil aller Zahlungstransaktionen im Wirtschaftsleben einer hochentwickelten Ökonomie aus.
Es gibt allerdings auch spezielles Zentralbankgeld, das gar nicht in die Hände von normalen Wirtschaftern gelangen kann. Diese den normalen Wirtschaftern vollkommen unzugänglichen Verbindlichkeiten der Zentralbank sind schon allein aus diesem Grund ökonomisch etwas vollkommen anderes als die Verbindlichkeiten eines normalen Wirtschaftssubjektes. Sie können niemals Aktiva in der Bilanz eines normalen Wirtschaftssubjektes sein, weil solchen Subjekten nicht das Recht zusteht, bei der Zentralbank ein Konto zu haben. Das unbare Zentralbankgeld ist nur zugelassen als Verbindlichkeit einer Zentralbank gegenüber ihrem eigenen Staat und den Banken. Ein normaler Schuldner (z. B. ein Unternehmen oder ein privater Haushalt) schuldet eine Rückzahlung in gesetzlichem Zahlungsmittel (Bargeld) oder nach Vereinbarung der Geschäftspartner in Buchgeld der Geschäftsbanken. Eine Zentralbank kann nicht in einer „höherwertigen“ Form zurückzahlen und muss es deshalb auch nicht tun. Ihre Verbindlichkeiten sind bereits das gesetzliche Zahlungsmittel. Daher gibt es keinen Rückzahlungsanspruch in einer anderen Einheit, sondern nur einen Umlauf- oder Übertragungsanspruch – genau das ist ein qualitativer Unterschied, der zur Folge hat, dass eine Zentralbank unbegrenzt einkaufen kann, was Verkäufer bereit sind, ihr zu verkaufen. Der Abschied vom Gold hat die Zentralbanken gestärkt.
Vergleich: Verbindlichkeiten von Zentralbank, Geschäftsbanken und normalen Wirtschaftssubjekten
Kriterium | Normale Wirtschaftssubjekte | Geschäftsbanken | Zentralbank |
Emittent | Unternehmen, Haushalte, Staat | Geschäftsbank | Zentralbank des Währungsraums |
Funktion der Verbindlichkeit | Schuldenaufnahme zur Finanzierung von Ausgaben | Bereitstellung von Zahlungsmitteln (Giralgeld), Kreditgeschäft | Bereitstellung von Basisgeld (Zentralbankgeld) |
Gegenstück der Passiva | Reale Leistung oder Geldzufluss | Forderungen gegen Kreditnehmer, Reserven bei der Zentralbank | Forderungen gegen Geschäftsbanken oder Staat |
Zugang zur Verbindlichkeit | Durch Kreditverträge, Anleihen etc. | Einlagen von Kunden (Haushalte, Unternehmen) | Ausschließlich für Geschäftsbanken und Zentralstaat |
Bilanzielle Bedeutung | Tilgungspflichtig, potenziell insolvenzrelevant | Tilgungspflichtig, erfordert Eigenkapitalunterlegung | Nicht tilgungspflichtig, kann bei negativem Eigenkapital weiter bestehen |
Risiko für Gläubiger | Insolvenzrisiko, Ertragsrisiko | Insolvenzrisiko, Einlagensicherung teilweise vorhanden | Kein Insolvenzrisiko im üblichen Sinne |
Funktion im Geldsystem | Teilnehmer im Wirtschaftskreislauf | Erzeugung von Giralgeld durch Kreditvergabe | Erzeugung von Zentralbankgeld, Steuerung der Geldpolitik |
Zentralbankverbindlichkeiten unterscheiden sich strukturell und institutionell von denen gewöhnlicher Wirtschaftssubjekte. Aber: das entbindet sie nicht von buchhalterischer Behandlung als Verbindlichkeit – sofern man unter „Verbindlichkeit“ folgendes versteht: ein bilanzierter Passivposten, der eine strukturierte Verpflichtung gegenüber einem Dritten ausdrückt.
Streitpunkt meiner Debatte mit Flassbeck ist seine These „Diese Verbindlichkeit ist ökonomisch irrelevant.“ Ich bestreite das entschieden, denn die Verbindlichkeiten der Zentralbank sind das zentrale Zahlungsmittel im modernen Geldsystem. Ohne es läuft ökonomisch gar nichts! Der Staat hätte keine Steuereinkünfte, die Geschäftsbanken könnten nicht arbeiten, der Staat keine Auszahlungen tätigen. Es gäbe keinen Außenhandel, weil es keinen Devisenverkehr gäbe.
Wie Flassbeck seine These von der ökonomischen Irrelevanz der Zentralbankverbindlichkeiten begründet, wird aus seinem Text nicht klar ersichtlich, besonders wenn er betont, „dass die Verbindlichkeit, die von der Zentralbank gegen das Geld [?] gebucht wird, eine Fiktion ist.“ und wenn er zurecht die Zentralbank als zentrales Machtorgan ansieht. Ohne das Zentralbankgeld, also ohne die Verbindlichkeiten der Zentralbank könnte dieses Zentrum seine Macht gar nicht ausüben! Die Verbindlichkeiten der Zentralbank sind ihr wichtigster Machthebel, nicht etwa ihre Aktiva. Diese Aktiva dienen nur als sichernder Gegenposten zum Zentralbankgeld.
In der Frage der Irrelevanz ist letztlich entscheidend, wer überhaupt eine solche Irrelevanz-Erklärung bezüglich der zur Debatte stehenden Verbindlichkeiten tätigt. Wer sie für ökonomisch irrelevant erklärt, verkennt ihre fundamentale Systemfunktion: Für Geschäftsbanken sind Forderungen gegenüber der Zentralbank in ihrer Bilanz von allerhöchster Relevanz. Sie benötigen es für alle Zahlungstransaktionen zum Staat, zur Zentralbank und den anderen Geschäftsbanken. Um es zu erhalten, liefern sie zentralbankfähige Assets, also Wertpapiere ein, um genau solche Gutschriften (Zentralbankgeldguthaben) zu erhalten. Ohne diese Gutschriften könnten Geschäftsbanken wiederum ihren eigenen Kunden keine Zahlungsversprechen erfüllen, die auf Zentralbankgeld lauten. Zentralbankverbindlichkeiten können daher kein Gegenstand eines spekulativen Bewertungsstreit sein, sondern sind eine unverzichtbare institutionelle Notwendigkeit: Die Verbindlichkeiten der Zentralbank sind so systemrelevant, dass ohne sie das gesamte Geldsystem seine operative Funktionsfähigkeit verlöre. Zentralbankverbindlichkeiten sind kein gewöhnliches Fremdkapital – aber sie sind auch keine Fiktion. Sie sind das systemisch garantierte und ökonomisch unverzichtbare Medium, durch das die Zentralbank ihre Macht im Geldsystem überhaupt erst ausüben kann.
Die Behauptung ihrer ökonomischen Irrelevanz kann nur von einer analytischen Position stammen, die sich außerhalb dieser Systemlogik bewegt – nicht jedoch von den Akteuren, die in ihr handeln müssen. Ich verstehe Flassbeck daher in einer entscheidenden Nuance anders, als seine Formulierung es erscheinen lässt: Er beklagt, dass es der Zentralbank möglich ist, zinstragende Assets in unbeschränkter Höhe aufzukaufen, auf diesem Wege letztlich unbeschränkt Erträge generieren zu können und als Gegenleistung nur ein Versprechen abzugeben, das wiederum nur zwischen den Existenzformen des Papiergeldes oder der Gutschrift einer Geschäftsbank bei der Zentralbank hin und her oszillieren kann. Das ist tatsächlich so, aber es handelt sich dabei um ein unverzichtbares Strukturelement unseres modernen Geldsystems.
Es gehört zum Geschäftsmodell der Banken schlechthin. Dieses Modell einschließlich seiner Ertragsaussicht beruht auf ihrer geldvermögensneutralen Bilanzverlängerung:
Eine Bank bucht gegenüber einem Kreditnehmer (Debitor) eine zinstragende Forderung und gegenüber einem Einleger (Kreditor) eine Verbindlichkeit in Form einer Gutschrift, die typischerweise niedriger verzinst ist. Die Banken überführen so Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen sogenannten Nichtbanken in ihre Bilanzen– z. B., indem sie Verbindlichkeiten (Schulden) von Debitoren aufkaufen und diesen gegenüber selbst als Gläubiger auftreten.
Es findet hier kein realer Leistungstransfer statt, sondern ein Austausch von Forderungen und Verbindlichkeiten, der – allein durch Buchung – in beliebiger Höhe ausgeweitet werden kann, solange die regulatorischen Bedingungen erfüllt sind.
Diese Konstruktion ist systematisch ertragswirksam, weil die Bank an der Differenz zwischen Soll- und Habenzinsen verdient. Für das Bankensystem insgesamt ist daher ein nachlassender Kreditbedarf in der Realwirtschaft ökonomisch existenzbedrohend – denn er entzieht dem Geschäftsmodell die Grundlage.
Erweiterung des Bankgeschäfts auf Staatsschulden
Dieses Prinzip lässt sich systematisch auch auf die Schulden von Staaten anwenden: Banken – sowohl Geschäftsbanken als auch Zentralbanken – können Staatsanleihen erwerben, also Schuldverschreibungen der öffentlichen Hand. Damit werden sie zu Kreditoren des Staates und haben Anspruch auf die im Titel verbrieften Kuponzahlungen.
Der Kauf von Staatspapieren unterscheidet sich bilanziell nicht von einem Unternehmenskredit:
- Die Forderung gegenüber dem Staat erscheint auf der Aktivseite als zinstragender Vermögenswert.
- Die korrespondierende Verbindlichkeit (z. B. gegenüber dem Verkäufer des Vermögenswert) erscheint auf der Passivseite.
- •Die Bank verdient an der Zinsmarge und der eventuellen Bewertung der Papiere (Kursgewinne).
Für die Zentralbank kommt hinzu: Sie kann die Verbindlichkeit selbst unbegrenzt emittieren (Zentralbankgeld). Das können Geschäftsbanken im Rahmen regulatorischer Vorgaben grundsätzlich auch, sie müssen sich ggf. aber refinanzieren – typischerweise aber günstiger als der Zinsertrag aus den Staatspapieren. Das macht den Kauf von Staatsanleihen – insbesondere in Niedrigzinsphasen – zu einem zentralen Baustein der Gewinnstrategie von Banken.
Diese Praxis ist kein Missbrauch, sondern Ausdruck der institutionellen Logik des Bankwesens im Geldsystem:
Verbindlichkeiten werden zu Handelsobjekten, und ihre Verzinsung wird zur Ertragsquelle. Was ursprünglich ein Schuldverhältnis zwischen Staat und Bürger war, wird zum Aktivum im Bankbuch – ohne dass dafür reale Leistungen transferiert werden. Das Bankensystem macht sich die Struktur gesellschaftlicher Schulden zunutze, indem es sie aufsaugt, verbrieft und in Bilanzpositionen überführt.
Was Heiner Flassbeck in seinem Beitrag als ökonomisch unerträglich kritisiert, nämlich das Vorgehen der Schweizerischen Nationalbank (SNB), mit „aus dem Nichts“ geschöpftem Geld US-Staatsanleihen zu erwerben und daraus Zinsen zu beziehen, ist in Wahrheit Ausdruck ganz normalen Bankgeschäfts: Der Erwerb zinstragender Forderungen durch Ausgabe eigener Verbindlichkeiten ist das Grundprinzip des modernen Bankwesens – bei Geschäftsbanken wie bei Zentralbanken. Eine begründbare Kritik wäre hier nicht die an der Zinserzielung, sondern allein an der währungspolitischen Absicht angebracht – nämlich daran, dass die SNB mit dem Aufkauf von Fremdwährungsaktiva gezielt eine Aufwertung des Franken verhindern wollte, was unter bestimmten Bedingungen als unzulässige Währungsmanipulation gilt.
Erst recht wird Flassbecks Kritik fragwürdig, wenn man den gesamten bilanziellen Verlauf betrachtet: Die durch Zinserträge erzielten Vorteile der SNB wurden in späteren Jahren durch massive Kursverluste auf ihre US-Dollar-Positionen mehr als kompensiert. Die erwartete Aufwertung des Frankens setzte schließlich ein – teils unter dem Druck einer bilanzseitig nicht mehr tragbaren Ausweitung der SNB-Positionen. Die SNB ließ die Aufwertung zu und musste daraufhin Wertberichtigungen im dreistelligen Milliardenbereich vornehmen.
Den größten Vorteil erzielten letztlich nicht die SNB oder die Schweiz, sondern die Spekulanten, die auf eine Franken-Aufwertung gesetzt hatten: Sie tauschten US-Staatsanleihen gegen Franken, hielten diese Positionen und realisierten Währungsgewinne, als die SNB ihren Widerstand gegen die Aufwertung aufgab. Die SNB hingegen musste Verluste verbuchen, während ihre zuvor erfolgten Ausschüttungen an Bund und Kantone (über 40 Mrd. Franken) nicht aus Erträgen, sondern aus der Substanz des Eigenkapitals finanziert wurden.
Der Vorgang zeigt: Normale geldpolitische Operationen können bei falscher Kalibrierung zu bilanziellen Risiken führen, ohne dass sie allein deshalb als ökonomisch illegitim gelten. Die entscheidende Unterscheidung ist die zwischen instrumenteller Handlung und währungspolitischer Absicht. Die USA haben nicht die Zinszahlungen kritisiert. Sie wussten, dass sie diese vornehmen mussten – ungeachtet der Frage, wer die UST hielt. Ihr Fokus war die Währungsmanipulation. Ich finde, eine solche Kritik, wenn berechtigt, ist ausreichend. Man gewinnt nichts, einen normalen Vorgang in der Finanzwelt zusätzlich zu brandmarken.