Die Geldökonomie: Warum Exportrückgänge höhere Staatsdefizite erfordern

Ein Gastbeitrag von Jan Frederik Moos

Donald Trump begegnet den globalen Ungleichgewichten in den Leistungsbilanzen mit Zöllen, Industriepolitik und Protektionismus. Die Folge: Die USA importieren weniger billige Güter – das externe Angebot schrumpft. Deutschland hingegen verliert externe Nachfrage – weil weniger exportiert werden kann. Die geopolitische Neuausrichtung hat eine zentrale makroökonomische Konsequenz für Deutschland: Wenn die externe Nachfrage wegbricht, muss sie durch inländische ersetzt werden. Andernfalls geraten Wachstum und Beschäftigung unter Druck. Die Verantwortung liegt nun bei der Politik. Sie muss entschlossen gegensteuern – mit höheren Ausgaben, dauerhaften Defiziten und einer Strategie, die keine neuen Ungleichgewichte schafft, sondern das globale Gleichgewicht wiederherstellt.

Ein einfaches geldökonomisches Bild macht den Mechanismus auch für Laien verständlich: Eine Person arbeitet 40 Stunden pro Woche und erhält dafür eine Gutschrift dieser erbrachten Leistung in Form von Geld. Man kann Geld als verbriefte Arbeitszeit verstehen – ein Tauschmittel, mit dem sich fremde Arbeitszeit erwerben lässt. Wer 40 Stunden arbeitet, erhält einen Geldwert, mit dem er sich 40 Stunden fremder Arbeitszeit „einkaufen“ kann. Da man aber einen Teil dieses Geldes spart, „beansprucht“ man z. B. nur 35 Stunden der Arbeit anderer – sodass eine Nachfragelücke entsteht. Kurz: Wer spart, nimmt weniger aus der Wirtschaft heraus, als er hereingibt.

Berücksichtigt man, dass ein Teil der geleisteten Arbeit nicht vergütet wird, sondern dem Unternehmensgewinn dient, wird das Modell komplexer – aber nicht grundlegend anders. Um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Teil der Arbeitsleistung dem Unternehmen zufließt, formulieren post-keynesianische Modelle – etwa bei Victoria Chick und Paul Davidson – allgemein: Die durch Beschäftigung induzierte Nachfrage bleibt hinter dem geschaffenen Angebot zurück. Der Teil, der dem Unternehmen zufließt, befähigt dieses wiederum, Arbeit anderer nachzufragen. Um den Mechanismus didaktisch zu vereinfachen, halten wir am einfachen Modell fest, in dem der Arbeiter durch seinen Lohn befähigt wird, 40 Stunden Arbeit nachzufragen, jedoch nur 35 Stunden nachfragt.

Das Beispiel verweist auf ein grundlegendes Problem, das die post-keynesianische Theorie systematisch adressiert: In monetären Produktionswirtschaften wird mehr Arbeit angeboten, als die private Wirtschaft von sich aus nachfragt. Unternehmen schaffen Jobs nicht aufgrund von angebotener Arbeit, sondern aus erwarteter Nachfrage. Bei schwacher Nachfrage drosseln sie die Produktion – und entlassen Beschäftigte.

In diesem Kontext wird Sparen zum makroökonomischen Problem: Es bedeutet, weniger auszugeben, als man verdient – also weniger nachzufragen, als die eigene Beschäftigung zur Produktion beiträgt. Dadurch reißt eine Lücke in den gesamtwirtschaftlichen Einnahmen- und Ausgabenstrom. Wenn der Staat diese Lücke nicht füllt, führt sie zwangsläufig zu Arbeitslosigkeit. Die neoklassische Theorie postuliert einen Investitionseffekt des Sparens – nicht aus Beobachtung, sondern aus dem Wunsch nach innerer Modellkohärenz. 

Zwar könnte die Investitionstätigkeit der Unternehmen der Nachfragelücke durch die Haushalte theoretisch entgegensteuern – praktisch jedoch versagt dieser Mechanismus seit Jahrzehnten. Investitionen stagnieren, vielleicht weil die Erwartungen gedämpft sind – nicht wegen fehlender Ersparnisse. In einer monetären Ökonomie entstehen Investitionen durch Kreditaufnahme – Banken schaffen das Geld dafür. Investiert wird, wenn Unternehmen mit Absatz rechnen, nicht wenn genug „angespart“ wurde. Zur Gewinnmaximierung steuern Unternehmen ihre Produktionsmenge – und damit die Zahl der Beschäftigten.

Reißt die private Nachfrage ab, bleibt nur eine Instanz, die dauerhaft einspringen kann, um Beschäftigung zu sichern: der Staat. Konkret: staatliche Ausgaben, die nicht durch Steuern finanziert werden – also Defizite. Deutschland und andere exportorientierte Länder setzen auf eine andere externe Nachfrage – mit fatalen Nebenwirkungen. Die exportorientierte Strategie bedeutet: Arbeitsplätze entstehen im Inland – doch ihre Existenz hängt von Nachfrage aus dem Ausland ab. Besonders die Industrie ist betroffen – im Gegensatz zu vielen Dienstleistungen steht sie in direktem internationalen Wettbewerb. Dies führt zu politischen Spannung, wie dies die Eurokrise gezeigt hat und die jüngsten Ereignisse, um die USA-Zölle. Die USA haben das lange hingenommen und im Gegenzug vor allem prekäre Dienstleistungsjobs geschaffen. Die industrielle Wertschöpfung dagegen liegt heute in China, Japan und Deutschland – mit allen ökonomischen Folgen.

Die Schlussfolgerung ist eindeutig: Deficit Spending ist kein Krisenwerkzeug, sondern eine strukturelle Notwendigkeit. Zugleich sollte langfristig eine ausgeglichene Handelsbilanz angestrebt werden – also die Fähigkeit, so viele Güter nachzufragen, wie man selbst produziert. Einige Ökonomen argumentieren, die USA lebten im Paradies, da sie mehr konsumieren als produzieren – und dafür lediglich Dollars in Umlauf bringen müssen. Was jedoch in der kapitalistischen Welt zählt, ist der hochgradig organisierte Teil der Wirtschaft: Arbeitgeber und Arbeitnehmer. 

Insofern sind die USA seit Jahrzehnten die strukturellen Verlierer des globalen Handelskriegs. Denn gute Arbeitsplätze gibt es insbesondere in der Industrie. Selbst wenn man jedoch das Argument von Warren Mosler akzeptiert – wonach Handelsdefizite vorteilhaft seien, weil sie günstigen Konsum ermöglichen, ohne reale Ressourcen aufgeben zu müssen –, bleibt ein doppeltes Logikproblem bestehen: Denn auch in dieser Sichtweise gibt es Gewinner und Verlierer – und wo Verteilungskonflikte entstehen, folgen Spannungen. Handelskriege mögen volkswirtschaftlich abstrakt symmetrisch erscheinen, politisch sind sie es nie.

Das Bild – 40 Stunden geleistet, 35 Stunden nachgefragt – gehört ins Zentrum der ökonomischen Bildung. Es macht sichtbar, was die Neoklassik systematisch verdrängt: dass in einer marktbasierten Wirtschaft das Angebot von Arbeitskraft regelmäßig die Nachfrage übersteigt. Deutlich wird: Produktion findet nicht einfach statt, weil Ressourcen vorhanden sind – sondern nur, wenn Nachfrage vorhanden ist.

Wir leben zudem nicht mehr in der Welt von Keynes, in der der Unternehmenssektor außerhalb von Krisenzeiten oft die Lücke schloss, indem er Kredite aufnahm und damit genügend Kaufkraft schuf, die das Sparen der privaten Haushalte ausglich. Heute sind dauerhafte Staatsdefizite keine Ausnahme, sondern eine strukturelle Erfordernis. Es wird Zeit, dass sich die Wirtschaftslehre von ihren Dogmen befreit – und post-keynesianisch neu aufstellt. Marc Lavoie lehrt im post-keynesianischen Standardwerk, dass Keynes nur einer von vielen wichtigen Ökonomen war. Wir sollten dies ernst nehmen und das „post“ schlicht als Hinweis deuten, dass wir in einer Welt nach Keynes leben.

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